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per amore del mondo Numero 13 - 2015

Teresa 500 anni fa

Warum Theresa

 

Ein kurzer Abriß von Theresas Leben

Theresa Sanchez de Ahumada y de Cepeda (1515-82) wurde in Avila geboren, im unruhigen Spanien des „goldenen Saeculums“.1 Sie stammte aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, die aber schnell zerfiel. Es handelte sich um eine Familie von „Konvertierten“, also von „neuen Christen“, die aus dem Judentum konvertiert waren. Theresas Mutter Beatriz hatte ein kurzes Leben. Sie starb mit dreiunddreißig Jahren und hinterließ viele Kinder, etwa zehn. Sie scheint eine sehr schöne Frau gewesen zu sein. Außerdem weiß man von ihr, daß sie leidenschaftlich gerne Ritterromane las, eine Leidenschaft, die sie vor ihrem Ehemann geheim hielt.

Die kleine Theresa unterlag dem Einfluß ihrer Mutter und deren Faszination für Ritterromane und für phantastische Erzählungen. Sie las viele dieser Romane, aber auch Erzählungen über das Leben von Heiligen, und sie träumte von großen Schicksalen und vom Märtyrertum. Das ging sogar so weit, daß sie als kleines Mädchen von zu Hause floh, um den Glauben in der Welt der Mauren zu verteidigen, in der Hoffnung, einen glorreichen Tod zu finden und sich somit das ewige Leben zu verdienen. Als ihre Mutter starb, war Theresa zwölf Jahre alt. Sie schien voller Angst die schwerwiegende Bedeutung dieses Verlusts zu verstehen. Am Sterbebett wandte sie sich spontan dem Bildnis der Jungfrau zu und brachte ihr Vertrauen entgegen, weil diese sie wie eine Mutter anblickte.

Als sie älter wurde, war ihr bald klar, welche Alternativen die Welt ihr eröffnete: die Ehe oder das Kloster. Sie kam zu der Überzeugung, daß die Ehe für eine Frau unweigerlich Unterdrückung bedeutete. Viele Jahre später wandte sie sich an ihre Nonnen, weil es ihr manchmal schien, daß sie die Freiheit nicht verstanden, die das Kloster ihnen bot, und sagte:

„Ich befürchte, dieses Unheil liegt in zwei Momenten begründet: entweder haben sie diesen Stand nicht allein um Gottes willen gewählt oder sie haben, nachdem sie diesen Lebensweg aufgenommen haben, die große Gnade nicht verstanden, die der Herr ihnen zuteil werden ließ, indem er sie zu seinen Bräuten auserkor und sie davon befreite, einem Mann unterworfen zu sein, unter dem eine Frau oft den Tod findet und der manchmal auch ihre Seele dem Ruin ausgesetzt, was Gott ebensowenig will.“2

Einem Mann unterworfen zu sein, schien Theresa eine tödliche Gefahr für das Leben und die Seele einer Frau: also entschied sie, daß Nonne zu werden die größere Freiheit bot. Im Alter von zwanzig Jahren floh sie von zuhause ins Kloster: Diese Entscheidung hielt sie für die vielleicht schwierigste ihres Lebens.

Sie trat in Avila in das Kloster de la Encarnaion ein. In diesem Kloster lebten etwa zweihundert Nonnen nach relativ gemäßigten Regeln, die intensive Kontakte mit der Außenwelt und deren Gewohnheiten zuließen. Auch wenn es Theresa leicht fiel, diese „mondänen“ Regeln anzuerkennen – sie war eine angenehme Gesellschafterin, liebenswürdig, auf natürliche Weise elegant und sehr gefragt, sie genoß durchaus eine gewisse Freiheit -, erkannte sie doch schnell die Grenzen der weiblichen klösterlichen Gemeinschaft: In dem, was das Kloster ihr eröffnete, lag kein bißchen Größe.

Theresa verbrachte etwa zwanzig Jahre im Kloster de la Encarnaion. Die ersten Jahre waren eine Zeit des inbrünstigen und lebendigen Klosterlebens. Doch dann ereilte sie eine schwere mysteriöse Krankheit, die sie an den Rand des Todes führte.

Als sie sich von ihrem schweren Leiden erholt hatte, nahm sie das Klosterleben wieder auf. Doch sie war nun zunehmend unzufrieden mit dem oberflächlichen Klima und damit, daß die spirituelle Beschäftigung, die sie jedesmal aufatmen ließ und deren Bedeutung sie erkannte, eine so spärliche Rolle spielte.

Auch durch einige eindrucksvolle Schriften über spirituelle Themen beeinflußt,3 beschloß sie deshalb, sich auf einen Weg der Vervollkommnung zu machen, um eine Heilige zu werden. Dazu unterzog sie sich einer Prozedur von Anbetungsritualen, die eher einer Kasteiung glichen und die eine innere Leere, die Konzentration auf die Passion Christi und die Liebe zu seinem Menschsein zum Ziel hatte. Auf diesem mystischen Weg der Anbetung, der die Dimension der Erfahrung und die unmittelbare Beziehung mit dem Göttlichen in den Vordergrund stellte, vollzog Theresa eine beeindruckende Wandlung. Christus bewirkt, daß sie sich selbst fühlt, er spricht zu ihr, er entzückt sie, er ruft sie zu sich – immer häufiger hat sie ekstatische Erlebnisse.

Das war ein risikoreicher Weg. Indem Theresa für sich beanspruchte, in einer direkten Beziehung zu Gott zu stehen, lief sie Gefahr, zu den Alumbrados, „den Erleuchteten“, gezählt zu werden, die die Kirche verdammte.4 Außerdem lief sie Gefahr, bei der Inquisition denunziert und wie viele der spanischen „Beatas“ in dieser Zeit für eine Heuchlerin gehalten zu werden.5 In ihrem Fall führte die Praxis der Vervollkommnung, der Strenge und der Einsamkeit dazu, daß sie sich im Kloster isolierte und die Gewohnheiten dort implizit verurteilte.

Theresa wußte gut, daß sie dabei war, sich außerhalb des Normalen zu stellen und Neues hervorzubringen. Sie wandte sich an die Beichtväter und bekannte ihren Willen, dem zu gehorchen, was die Kirche für richtig hält. Doch gleichzeitig bekräftigte sie mit einer außergewöhnlichen Kraft vor allem in ihren Schriften, daß das, was sie kennenlernt und erlebt, wahr ist.

Außerdem wurde ihr Wunsch, der Kirche zu dienen und auch selbst am Kampf gegen die lutherische Reform teilzunehmen, durch das Verbot für Frauen vereitelt, das Apostelamt auszuüben.

Das große Begehren, wie ein Soldat des Herrn zu kämpfen, war Theresa aufgrund ihres Geschlechts versagt. Für eine Nonne ziemte sich der Kampf nicht, so schwer dieses Schicksal auch zu ertragen war. Das heißt aber nicht, so wendet sie ein, daß man Gott nur kämpfend, mit Waffen in den Händen, dienen könnte: „Denn obgleich der Fahnenträger im Treffen nicht mitkämpft, so ist er doch in großer Gefahr.“(CP, 98) Er kann sich nicht gegen die Feinde verteidigen, weil er die Fahne hält, ebensowenig kann er sie sinken lassen, weil die Schlacht verloren ist, wenn die Fahne sinkt.

Es ist Theresas Wunsch, daß „bei der großen Anzahl der Feinde Gottes wenigstens seine wenigen Freunde wahrhaft gut sein möchten. Ich entschloß mich daher, das Wenige zu tun, was an mir lag.“ (CP, 23)

Sie beschloß also, dem eigenen Willen zu folgen, soweit es ihr möglich war. Einige Gefährtinnen solidarisierten sich mit ihr und sie entwickelte die Idee, ein Kloster zu gründen, wo sie ein spirituelles Leben führen konnte, das sie persönlich bereits ausprobiert hatte und von dem sie wußte, daß es schon vor ihr die Nonnen, die der Lehre der Heiligen Klara folgten, geführt hatten. Das war eine große Herausforderung, mit Hilfe einer Freundin kaufte sie nämlich insgeheim ein Haus,6 das dann zum ersten Kloster wurde, in dem die ursprünglichen Regeln des Karmel befolgt wurden: wenige, kontemplativ lebende Nonnen, zwölf und die Priorin, die in Armut lebten und in totaler Klausur Anbetung übten.

So begann Theresa Klostergründungen vorzunehmen und den Orden zu reformieren, ein Unterfangen, das fünfzehn Jahre dauerte und bei dem teilweise mit der Härte eines richtigen Krieges gegen die nicht reformierten karmelitischen Orden vorgegangen wurde (Unbeschuhte gegen Beschuhte Karmeliter). Diese Auseinandersetzung endete mit der Aufspaltung in zwei Orden und der Gründung des Ordens der Unbeschuhten Karmeliter.

In dieser Lebensphase war Theresa auf ständiger Wanderschaft, gründete weitere Klöster des neuen Ordens, dessen Regel sie verfaßte; sie war oft krank, zudem mit unzähligen Briefwechseln belastet. Später leitete sie das große Kloster de la Encarnaion. Dabei war sie ständig auch in Sorge um den Leib und das Leben derer, die sie unterstützten, sowie um das Schicksal der eigenen Schrift (der „Vita“), die sich in den Händen der Inquisition befand. Dennoch vollendete sie in dieser Zeit die wichtigsten ihrer Schriften: Die innere Burg, Weg der Vollkommenheit, Gedanken über die Liebe zu Gott, Rufe der Seele zu Gott, Gedichte und Lieder sowie Das Buch der Klosterstiftungen. Der Tod ereilte sie 1582 auf einer Reise, mitten in ihren Aktivitäten, im Alter von 67 Jahren.7

Schon 1622 wurde sie heilig gesprochen.

 

 

Weiblicher Realismus, zum Beispiel Theresa

Auf der Suche nach einer weiblichen Lehre dafür, die Welt zur Welt zu bringen, scheint mir die Gestalt Theresas ein gutes Beispiel zu sein. Aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet ist dies zwar schon tausendfach herausgearbeitet worden, denn es gibt ja gerade so viele Heilige und Heiligenviten, damit diese ein Beispiel geben. Andererseits ist aber diese Frage überhaupt nicht beantwortet, denn die Frage, mit der ich mich an Theresa wende, obwohl ich nicht religiös bin, hat wenig mit ihrer Heiligkeit zu tun.8 Im Gegenteil war mir diese Heiligkeit, die ihr von der Autorität der Kirche zugesprochen wurde und ihre Anerkennung als Kirchenlehrerin und auch das Streben nach Gott, das ihre Werke durchdringt, beim Befragen und Deuten der Worte und der Geschehnisse oft ein Hindernis, so sehr, daß ich mir manchmal darüber klar wurde, nun erst die richtige Interpretation ihrer Sprache zu finden. Diese Hindernisse, die darin liegen, wie die Gestalt und die Worte Theresas erscheinen, die bereits in einer Übersetzung, in eine Regel oder in einen Kodex eingeschrieben waren, denen ich mißtraute, erwiesen sich dennoch alle als weitgehend irrelevant für das, was mich bewegte. Ebenso irrelevant waren sie dafür, Theresa als beispielhaft für meine Fragestellung zu charakterisieren.

Dieses Phänomen könnte banal scheinen, aber es ist bedeutsam im Hinblick auf das, was ich über Theresa ausführen möchte und von dem ich zudem glaube, daß man es durch ihre Lehre erfahren kann.

Das Beispiel, daß die Erfahrung und das Werk einer Frau, die sich so sehr an eine bestimmte Tradition anpassen kann, daß sie sogar von dieser heilig gesprochen wird, für ein weibliches Subjekt zum Vorbild werden kann, das dieser Tradition überhaupt keine Autorität zuspricht, scheint mir Lehre zu sein über das, was man einen „sexuierten hermeneutischen Zirkel“ nennen könnte:* Einen Sinnzusammenhang, der zwischen einer Leserin oder Fragenden und dem Werk, dem Wort oder dem Leben einer anderen Frau entsteht.9

Außerdem hat es mit einer viel grundlegenderen Frage zu tun, nämlich wie es möglich ist, daß sich für das weibliche Wort ein wahrhaftiger Sinnhorizont gerade in dem Augenblick eröffnet, wo der Horizont, den der Kodex des Wortes selbst umreißt, eine solche Möglichkeit ausschließt.

Im Hinblick auf diese beiden Probleme scheinen mir Theresas Ausführungen eine sehr genaue Auskunft zu geben: Es handelt sich um den Hinweis auf den Faktor der Beziehung, der damit verbunden ist, die Zugehörigkeit zum menschlichen weiblichen Geschlecht nicht zu verkennen, und darum das Wort zu befreien.

Diese Faktoren sind Theresa beide präsent.

Ich versuche also zu klären, was mich zu der Bewunderung veranlaßt, aus der heraus ich ihren Worten zustimme. Es war ihre Leidenschaft für die eigene Freiheit, die mich ergriffen hat, die Größe ihrer Wünsche, ihre Kraft, sie zu bejahen und zu realisieren, ihre Fähigkeit, zu vermitteln, und das heute noch, vier Jahrhunderte später. Vor allem aber hat mich beeindruckt, daß Theresa immer die erste Bedingtheit, die ihr vom Schicksal gegeben war, gegenwärtig hielt, nämlich die, eine Frau zu sein, eine Bedingtheit, die sie nicht ablegen konnte. Niemals versäumte sie, das zu unterstreichen, weder was sie selbst anging, noch im Hinblick auf ihre Gesprächspartner und -partnerinnen. Und das waren fast immer Frauen: sie wendet sich an ihresgleichen, von diesen, von uns, von mir sollen ihre Worte gehört werden, wenn sie Worte anbot und sprach.

Mich hat also sowohl sie selbst als auch ihr Wissen ergriffen, dann vor allem aber ihre Fähigkeit, mich zu erobern.

Dabei handelt es sich nicht um einen Kausalzusammenhang: Theresa ist sich bewußt, wie wichtig diese Verbindung zwischen Liebe und Vertrauen ist, insbesondere wenn sie sich an Frauen wendet. Zu Beginn des „Wegs der Perfektion“, einem Text, den sie ihren Nonnen gewidmet hat, sagt sie:

„In Anbetracht der großen Liebe, die die Schwestern zu mir tragen, glaubte ich, daß ihnen das, was ich ihnen Unvollkommenes und in schlechtem Stile sagen werde, vielleicht angenehmer sei als manche sehr gut geschriebenen Bücher, die von Männern verfaßt sind.“(CP, 19)

„Diese Liebe sowie mein Alter und die Erfahrung, die ich bezüglich einiger Klöster habe, können dazu beitragen, daß ich in kleinen Sachen das Rechte besser treffe als die Gelehrten, die wegen anderer wichtigerer Geschäfte und als starke Männer auf Dinge kein so großes Gewicht legen, die an sich als unbedeutend erscheinen. Aber so schwachen Wesen, wie wir Frauenspersonen sind, kann alles schädlich sein.“(CP, 20)

Schon in diesen kurzen Passagen tun sich einige klärende und hilfreiche Hinweise dazu auf, welche zentrale Bedeutung der Faktor der Beziehung für Theresa hat, wobei eine Beziehung ihrer Erfahrung nach immer durch die Geschlechterdifferenz geprägt ist.*

Der erste Hinweis spricht also von einer starken Bindung einer vertrauensvollen Bezugnahme, die Liebe genannt wird: für ihre Nonnen, nur wenig gebildete Frauen, die wahrscheinlich sensibilisiert sind für die größere Bildung ihrer spirituellen Leiter und zu Gehorsam verpflichtet, ist eine solche Vertrauensbeziehung, die sich in der Lehrbeziehung mit ihr entwickelt, wichtiger als die Autorität der Gelehrten. Denn diese „starken Männer“ sind mit Angelegenheiten beschäftigt, die nur wenig mit den Erfahrungen der „schwachen“ Frauen zu tun haben. Sie sind ja gut darin, mit der Feder umzugehen, aber nicht darin, das „Minuziöse“ zu erfassen, das jedoch für die Frauen hingegen so grundlegend ist.10

Wir haben es also mit einem Kontext zu tun, in dem die privilegierte weibliche Kommunikation bevorzugt wird, die durch eine Beziehung der Liebe und des Vertrauens getragen ist. In den Worten Theresas tritt aber noch ein weiteres Moment ans Tageslicht, nämlich daß sie selbst sich als Beispiel, als Führerin und Vermittlerin anbietet. Eine der Thesen, die ich im folgenden vertreten und bekräftigen will, ist, daß von dem Funktionieren eines solchen Dispositivs von Bindung ihr eigenes Legitimiertsein ebenso wie die Wirksamkeit ihres Tätigseins abhängt. Ich werde zu zeigen versuchen, wie es ihr gelingt, wertschaffende und autorisierende Kreisläufe zu errichten, indem sie auf der einen Seite das Göttliche und auf der anderen den Kontext ins Feld führt, der durch ihre Nonnen konstituiert wird. Außerdem ist damit verknüpft, daß ich Theresas „Realismus“ für beispielhaft halte.

Der Begriff „Realismus“ ist heutzutage durch eine schwere philosophische Hypothek belastet, aber auch in seiner allgemeinen Bedeutung ist er nicht frei von Ambivalenz. Wenn ich ihn hier gebrauche, so beabsichtige ich lediglich, eine bestimmte Beziehung zum Realen zu unterstreichen. Ich räume der Realität der Dinge einen besonderen Vorrang vor dem ein, was man von den Dingen denkt, sagt, hofft und entwirft.

Es gibt zudem eine Bedeutung von „Realismus“, die eine andere etymologische Herkunft hat: anstatt von res (Ding) wird sie von re (König) abgeleitet und zeigt an, daß es sich um etwas handelt, das „von Seiten des Königs“ ist; es meint folglich die Beziehung zur Souveränität.

Der Begriff „Realismus“ hat also einerseits mit der Fähigkeit zu tun, das Reale als das zu verstehen, was es ist, sowie den eigenen Tätigkeiten Realität zuzusprechen. Andererseits hat er mit der Fähigkeit zu tun, das Wesen der Funktion der Subjektivität zu erfassen, so wie der Herrscher sie für sich beansprucht, und anzuerkennen, wo im Realen die Souveränität liegt.11 Die Verbindung beider Aspekte ermöglicht, im Realen mittels des Zeichens der Wirksamkeit und Wahrheit als Subjekt zu handeln.12

Theresa ist Realistin in jeder Hinsicht. Bei ihrem Vorhaben, eine Ordnung der Realität zu begründen, greift sie auf beide dieser Möglichkeiten des Realismus zurück, indem sie sich einerseits auf die höchste Herrschaft bezieht und andererseits auf die Kraft der Realität dessen, was ist und was nach einer Ordnung verlangt.

 

Theresas Weg: einen Ort für Wahrheit in sich finden und der Wahrheit einen Ort geben – die zwei Burgen

Ich habe schon gesagt, daß das Geschehen um Theresa lehrreich ist im Hinblick auf Souveränität und auf die Beziehung zur Realität. Jetzt möchte ich zunächst erklären, was es bedeutet, sich auf eine räumliche Metapher zu beziehen: den Ort.13

Theresa konfrontiert sich auf ihrem Weg, den ich als einen Weg im Spannungsfeld von Freiheit und Perfektion bezeichnen möchte, mit zwei Vorhaben, die miteinander dadurch verbunden sind, daß sie einen Ort haben.

Das erste betrifft die eigene Möglichkeit, sich als Subjekt zu begründen, Autorität zu haben, über die Kraft des Sprechens zu verfügen und sich zu retten.

Das zweite betrifft die Gründung eines Ordens (eines religiösen Ordens, aber auch einer Ordnung der Realität), in dem das gesprochene Wort seine Gültigkeit erweisen kann. Es betrifft das Finden eines Ortes für das eigene Wort, für die Wahrheit darüber, was man ist, und für das, was befohlen wird.

Diese beiden Unternehmen sind logisch miteinander verknüpft, obgleich sie in Theresas Leben in chronologischer Reihenfolge erscheinen. Zuerst muß man Autorität, auch die der eigenen Erfahrung anerkennen (ein Weg, von dem die Vita Rechenschaft gibt), dann muß man den Ort gründen, wo diese Erfahrung praktiziert und vermittelt werden kann (ein Weg, der in den Gründungen erzählt wird).

Ein drittes Unternehmen ist unmittelbar mit diesen beiden verwoben, und zwar in einer Weise, bei der es nicht leicht ist, eindeutig seine Rolle und seinen Sinn zu bestimmen: die Schrift. Die Schrift repräsentiert sicher die erste Form der Objektivierung, die Theresas Realismus in Gang setzt: was sie erlebt, was in ihrem Körper geschieht und was die Seele am anderen Ort der Ekstase erkennt, all das muß einen Platz in der Welt finden.

Theresa notiert, erinnert, erzählt, stellt Verbindungen her; in ihren Schriften gebraucht sie umschreibende Formulierungen, um zu sagen, was ist, was geschehen ist, was weiterhin geschieht und zu werden fortfährt; dies wird wiederum bestätigt durch ihre Realität als Person und ihre beständige Präsenz.14 Denn die Erfahrung in der Schrift wiederzugeben bestätigt die reale Existenz der Erfahrung und ist zugleich eine Weise, die Realität dessen, was ist, anzuerkennen. So steht die Schrift für Theresa nicht für sich allein. Sie ist vielmehr Erzählung, Gespräch, der Versuch, sich Gehör zu verschaffen.

Deshalb umreißt Theresa in ihren Schriften auch eine Ordnung im Hinblick auf den Ablauf des Geschehens: vor allem natürlich in den biographischen Erzählungen, aber auch in den theoretischen Schriften, wo sie von einem Weg, von einer Reise, von einem Pfad der Perfektion spricht.15

Diese Reise wird von Theresa sehr detailliert und mit vielen subtilen Unterscheidungen beschrieben: zunächst vier Stadien des Gebets, dann sieben Wohnungen der Seele. Es würde hier zu weit führen, sich diese Unterscheidungen im einzelnen vorzustellen. Statt dessen werde ich versuchen, eine eher allgemeine Bestimmung vorzunehmen, die sich von Theresas Äußerungen selbst unterscheidet, obgleich ich mich auch auf diese stütze.

 

Die Ekstasen

Theresa ist eine Frau mit großem Begehren. Bei mehreren Gelegenheiten verteidigt sie den Nutzen, große Begehren zu nähren,16 sich nicht mit einer „winzigen Seele“ zufriedenzugeben. Dies setzt sie der „falschen Demut“ entgegen, an der besonders Frauen leiden. Denn die Frauen haben die Angewohnheit, allzu sehr der Furcht nachzugeben, wobei sie intellektuellen Vorbehalten und der Schwachheit zu schnell Gehör schenken, sich außerdem wie kleinmütige Menschen verhalten, tausend Schwierigkeiten vorschieben und einer „unangebrachten, vollkommen unangemessen Bescheidenheit“ frönen, die sagt: „Wir sind keine Engel, wir sind keine Heiligen.“ (CP, 91)

Theresa fordert ihre Nonnen dagegen zu dem auf, was sie „heilige Kühnheit“ nennt. Diese heilige Kühnheit, die weit davon entfernt ist, Demut zu verneinen, verhilft dazu, in den eigenen Übungen zu wachsen. (CP, 91)

Dabei ignoriert Theresa aber nicht die Schwierigkeit, die für eine Frau damit verbunden sind. Im Gegenteil ist sie sich dessen voll bewußt, daß der eigene Wille, etwas zu verwirklichen, in der Welt auf Hindernisse trifft: „Andererseits jedoch wäre es ihr Wunsch [der der Seelen], sich mitten in die Welt zu begeben… Gehören diese Seelen dem weiblichen Geschlechte an, so schmerzt es sie, daß sie durch ihre natürlichen Verhältnisse daran gehindert sind; sie beneiden jene sehr, denen es freisteht, mit lauter Stimme auszurufen und zu verkünden, wer dieser große Gott der Heerscharen ist.“ (C, 157)

Es scheint, daß Frausein für den Zugang zur Welt und für den Zugang zum Göttlichen, den die Welt vorsieht, hinderlich ist. Das Frausein läßt eher das Bewußtsein vom eigenen Elend oder aber den Neid offen. Doch trotz der Hindernisse, die die Welt ihren Wünschen in den Weg legt, versagt sich Theresa weder ihre Wünsche noch das Tätigwerden. Statt dessen erörtert sie die Bedingung der eigenen Kraft: „Doch das Bewußtsein, daß ich ein Weib und elend und nicht imstande sei, das zu tun, was ich zum Dienste des Herrn tun zu können wünschte, erfüllte mich und erfüllt mich noch jetzt mit dem sehnsüchtigen Verlangen, es möchten bei der großen Anzahl der Feinde Gottes wenigstens seine wenigen Freunde wahrhaft gut sein. Ich entschloß mich daher, das Wenige zu tun, was an mir lag.“ (CP, 23)

Es wurde für Theresa deshalb notwendig, eine Quelle der Autorisierung und der Kraft zu finden, die es ihr gestattete, die weltliche Vermittlung zu überbieten, die ihrer Erkenntnis zufolge von einem männlichen Maßstab dominiert wurde. Diese Autorisierungsquelle sei Gott selbst, der wahre Herr, und ihm vertraute sie sich an: „Gott ist der gerechte Richter, aber nicht wie die weltlichen Richter, die alle, weil sie wie die Söhne Adams und außerdem Männer sind, nicht über die Tugend der Frau verfügen, warum jene diese nicht verdächtigen dürfen.“ (CP, 553, Man. Esc. 33)17

Bei dieser Autorisierungsweise wird die Bedeutung von Realismus relevant, die auf der Vorstellung „von Seiten des Königs“ beruht: Es ist nicht so sehr der eigene „schwache“ Wille, dem Theresa dient, sondern vielmehr die Allmacht Gottes. Ihr Wille sei dasselbe wie Gott – wenn ich mich den Dingen des Herrn hingebe, nimmt er sich meiner Sache an.

Viele kindliche Heilige, die ihre Stärke aus der Vorstellung der göttlichen Allmacht beziehen, können dadurch außergewöhnlichen Schwierigkeiten entgegentreten: „Laßt euch dennoch von niemandem einschüchtern. Dient vertrauensvoll Gott, der der mächtigste von allen ist, und niemand kann euch ihm rauben.“ (CP, 644, Man. Esc.)18

Wenn der eigene Wille nicht souverän ist, dann nimmt das tatsächlich Vorherrschende in der Person Platz.

Auf diese Weise setzt man in der Realität eine Strategie um, die das Subjekt faktisch stärkt, und zwar dadurch, daß man ihm entsagt: Mittels der Ekstasen ist Theresa zerrissen, entrückt, aus sich herausgetreten, sie ist wie enteignet.19 Im „übernatürlichen“ Gebet setzt Theresa somit die Stufe der Anbetung fest, in der der göttliche Wille20 der wahre Handelnde ist – im Unterschied dazu, daß Gott ansonsten eher als Objekt des Gebets verstanden wird. Dabei kostet die Seele verschiedene Beschaffenheiten der Ekstase aus: die Sammlung, das Gebet in Ruhe, Machtträume, die Entrückung, das Sich-Emporschwingen, die wahre und wirkliche Vereinigung. Der Wille kann dabei „nichts anderes mehr verlangen und keinen anderen Willen mehr haben, als den Willen unseres Herrn zu erfüllen.“ (V, 192)

Ab und zu sind die Flüge des Geistes jäh und heftig, wie Hitzewellen, und manchmal handelt es sich um wirkliche Entführungen und Verzückungen. In anderen Fällen wiederum wird die eigene Seele verwundet, als hätte ein Pfeil sie durchbohrt. All dies ist Quelle einer unsagbaren Glückseligkeit. Aber nachdem die Seele erst einmal die Vereinigung mit dem göttlichen Willen erfahren hat, ist es andererseits auch ein großes Leid, wenn sie sich darin unabänderlich auflösen möchte und folglich auf sich, auf den eigenen Willen sowie auf das eigene Leben verzichtet.21 Damit scheint der Seele die ganze Welt eine Quelle der Langeweile, und das Leben scheint ihr Hindernis zu sein, so daß sie scheinbar nur noch zu sterben wünscht; „hat aber die Seele wieder so viel Freiheit, um zu erkennen, daß ihr Verbleiben auf dieser Welt der Wille Gottes ist, so tröstet sie sich damit.“(RS, 474)

Die Freiheit, die es erlaubt, sich zum Göttlichen zu erheben und sich mit Gott zu vereinigen, braucht – in den Worten Theresas – Korrektur durch einen Beichtvater, um „sich in Gott zu verwandeln“. Denn mit der Entsagung erhält man Distanz zu sich selbst, „und es ist schwer, sich selbst zu vergessen und wider sich selbst zu sein, weil wir mit uns selbst ganz verbunden sind und uns selbst sehr liebhaben“. Das aber ist um der heiligen Freiheit willen notwendig, „die es dem Geist gestattet, los von Erde und Blei, sich zu seinem Schöpfer zu schwingen.“(CP, 64)

Diese Trennung von sich, dieser Verzicht auf den eigenen Willen, um dem Willen des Herrn zu dienen, dieser Gehorsam dem göttlichen Willen gegenüber, ist weit davon entfernt, der Tod des Subjekts zu sein. Vielmehr zeigt sie einen neuen Anfang an.22 Die Distanz zu sich selbst gestattet, Souveränität über die Welt zu bekommen. „Wundert euch daher nicht, meine Schwestern, über meine wiederholten Ermahnungen in diesem Buche, nach einer solchen Freiheit zu streben! Ist es nicht etwas Schönes, daß eine arme Nonne des St. Josephs Klosters dahin gelangen kann, daß sie über die ganze Erde und über die Elemente herrscht? Dürfen wir uns noch wundern, wenn die Heiligen mit Gottes Hilfe über die Elemente nach Belieben schalteten?“ (CP, 104)

Daß das Subjekt sich vom eigenen Willen und dem Wunsch, in eigenem Namen zu handeln, löst, zusammen mit dem Begehren nach dem Göttlichen und dem Angezogensein von Transzendenz, eröffnet ihm eine Dimension von Freiheit. Eine Freiheit, die wiederum ihre Kraft daraus bezieht, mit der Notwendigkeit oder auch mit dem allmächtigen Willen dessen übereinzustimmen, der der Welt gegenüber souverän ist.

Die Form bzw. die Strategie der mystischen Ekstase, die von der vorgegebenen Vermittlung absieht, um unmittelbar Zugang zur göttlichen Dimension zu erlangen, scheint ein Verfahren zu offenbaren, das sich beinahe aufzwingt, wenn die Vermittlungen des dargebotenen Faktischen in der Ordnung des Bestehenden nicht angemessen zu sein scheinen, um das Begehren des Subjektes nach Transzendenz zu übermitteln, das eben diesen Vermittlungen fremd gegenübersteht. Dies gilt insbesondere für die Subjekte, die die Differenz des weiblichen Geschlechts tragen – ich glaube, es liegt nahe, sich der besonderen Problematik des weiblichen Subjekts bewußt zu werden, wenn man in Betracht zieht, wie verbreitet ungewöhnlich radikale weibliche spirituelle, mystische, visionäre, ekstatische, prophetische Erfahrungen sind. Erfahrungen, die nicht immer, eher sogar selten einen solchen Erfolg und eine solche Anerkennung erfahren haben, wie die von Theresa.

Damit hängt ein zweiter Aspekt der mystischen Erfahrung zusammen. Er läßt sich bei Theresa und bei anderen finden, anders als bei den oft so unglücklichen Mystikerinnen, die ihr vorausgegangen sind oder nach ihr gewirkt haben. Eine Mystikerin, die trotz des Fehlens von Vermittlung in der Lage ist, auf angemessene Weise auf das Bedürfnis nach Transzendenz zu antworten, indem sie sich auf den Weg der direkten Beziehung mit dem Göttlichen macht, stellt sich durch diesen Akt selbst an den Ort der möglichen Vermittlung.

So erklärt sich auch die Bedeutung, die die Figur des leidenden und erlösenden Christus bei Theresa wie auch bei anderen Mystikerinnen hat: Einen Weg der Perfektion zu unternehmen bedeutet, sich auf den Weg des Kreuzes zu begeben.23 Indem sie sich auf das Kreuz bezieht, bekräftigt Theresa in einem ihrer Gedichte: „Wer dich nicht liebt, liebt die Freiheit nicht.“ Das Kreuz auf dem Weg muß man umarmen, weil unter dieser „Fahne der, der kämpft, auch wenn er schwach ist, sich stark zeigt“ und weil das Kreuz „die Kostbarkeit der Verbannung“ und „die Braut ist, die vor ihm ihr Wollen bekennt.“24

Christus ist folglich eine Gestalt des Leidens und steht für die Verbannung der eigenen Wahrheit. Vor allem aber ist er Figur dafür, eine Vermittlung durch den Körper zu entwerfen. Die Nachfolge Christi, wie Theresa sie sucht, ist nicht nur eine Nachfolge im Leiden – bei den Anbetungspraktiken hat sie die extremen Formen der Selbstkasteiung immer verurteilt -, sondern vor allem auch die Nachfolge seiner Funktion, zwischen dem Menschlichen und der göttlichen Wahrheit zu vermitteln.25 Zu solchem Leiden ist insbesondere diejenige Frau berufen, die von sich und ihrem Geschlecht die fatale Verdammung wahrnimmt, daß ihr der Zugang zur Transzendenz fehlt.

Die Ekstase bietet letztendlich sich bzw. den eigenen Körper als Medium, um mit der eigenen Person die zunächst noch nicht vermittelte Kluft zwischen dem Göttlichen und der Welt zu überbrücken. Sie verleiblicht auf diese Weise eine Funktion, die man engelhaft, oberpriesterlich oder schamanisch nennen könnte. Das kann in einem Akt gemeinsamer Opferung enden, wobei die Flügel des vom Unglück verfolgten Mediums entweder verbrannt werden können, wenn es in ein rein gegenständliches Mittel der Opferung verwandelt wird. Oder das Medium kann umgekehrt auch die Fähigkeit erlangen, zu einer Dimension des anderen zu werden und von dort wiederzukommen, ohne dabei – weder physisch noch symbolisch – zu sterben. Theresa, die in den Ekstasen schreibt, sie wolle sterben – „ich sterbe, damit ich nicht sterbe“26 -, gelingt dieses zweite lebendige Vorhaben. Viele andere unglückliche Frauen aber sind dabei gestorben.27

Die Instase: „Einwohnende Annäherung an sich selbst“

Daß Theresa gelingt, woran andere gescheitert sind, kann auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden, von denen einige unergründlich sind, wie zum Beispiel die Außergewöhnlichkeit ihrer Persönlichkeit, ihre Kraft oder der Zufall. Über diese Voraussetzungen kann man nur wenig sagen und muß sie bewundernd festhalten. Andere Voraussetzungen dagegen können vielleicht zum größten Teil ermittelt werden, sie hängen mit der Qualität der Beispielhaftigkeit von Theresas Erfahrung sowie mit deren Beziehung zu ihrem Realismus zusammen. Realismus bedeutet in diesem Fall das, was es Theresa erlaubt, aus der Ekstase in die Realität zurückzukehren, und über die Ekstase hinauszugehen, indem sie deren Sinn verändert.

Am Ende des „Wegs der Vollkommenheit“, nachdem Theresa ihren Nonnen die Anbetungspraxis dargelegt hat, die sich an der Vereinigung mit Gott orientiert, eröffnet sie eine neue, räumliche Metapher: in euch, sagt Theresa, gibt es eine ungeheuer reiche Burg, gebaut aus Gold und kostbaren Steinen. Diese Metapher wird zum Schlüsselbild ihres Hauptwerkes, der „Seelenburg“.

Unsere Seele, erklärt Theresa mit diesem Vergleich, ist wie „eine Burg, die ganz aus einem Diamanten oder klaren Kristall hergestellt ist; dort gibt es viele Gemächer, gleichwie auch im Himmel viele Wohnungen sind“ (C, 19) – eine Burg also mit vielen Zimmern, alles Wohnsitze, die, wie die himmlischen Sphären, konzentrisch ausgerichtet sind, eine Art verinnerlichter Kosmos.

Dieser Vergleich, sagt Theresa, kann „auf den ersten Blick […] zu großem Nutzen sein. Da wir Frauenspersonen nicht gelehrt sind, so bedürfen wir eines solchen Mittels, um die Wahrheit zu bekennen, daß in uns selbst etwas unvergleichlich Kostbareres ist, als was wir äußerlich an uns wahrnehmen. Wir dürfen ja nicht meinen, wir seien inwendig leer. Wollte Gott, es dächten nur Frauenspersonen allein nicht daran, welch vornehmen Gast wir in uns beherbergen.“ (CP, 145)

Es handelt sich um einen inneren Schatz, an dessen Existenz nicht gezweifelt werden kann, der aber oft, insbesondere von Frauen, in seiner Bedeutung unterschätzt wird. Auch seine große Schönheit und sein immenses Vermögen sind nicht bekannt.

Theresa selbst erinnert sich daran, daß sie der eigenen, wahren Natur gegenüber blind war, sowie dem gegenüber, was einfach existiert: „ich sah wohl ein, daß ich eine Seele habe; jedoch ihren Wert kannte ich nicht, und ebensowenig, wer in ihr wohne. Durch die Eitelkeiten dieses Lebens habe ich mir die Augen so verhüllt, daß ich dies nicht sehen konnte.“ (CP, 146)

So bleibt also das Bedürfnis nach einem Weg, nach einer Enthüllung, nach einer Verbindung mit dem, was überlegen ist. Aber das ist nicht irgend etwas, das außerhalb von uns existiert oder von dem wir durch eine substanzielle Differenz getrennt sind. Es handelt sich vielmehr um eine Bewegung, um ein Vorwärtsschreiten. Es handelt sich um eine Reise in Richtung auf das eigene Zentrum, einen Prozeß der fortschreitenden Zentrierung des Subjekts: Das Göttliche, das die Seele bewohnt, ist die Wahrheit des Subjekts. Um sich mit ihm zu vereinigen, ist also nicht mehr die Ekstase, sondern vielmehr die Instase notwendig. Wir sind von uns selbst, von unserer Wahrheit, von unserem Ursprung getrennt: „Wäre es, meine Töchter, nicht eine große Unwissenheit, wenn jemand auf die Frage nicht zu antworten wüßte, wer sein Vater, wer seine Mutter, welches seine Heimat sei? Schon dies wäre ein Zeichen großer Unvernunft, die sich aber noch unvergleichlich steigern würde, wenn wir uns nicht um die Erkenntnis unserer Selbst kümmerten, sondern uns nur mit unserem Leibe befaßten.“ (C, 20)

Es ist wahr, daß die Eitelkeit der Welt uns oft die Augen verbindet. Aber genauso oft unterläßt man es aus Gründen der Nachlässigkeit, sich in die innere Burg hineinzubegeben, um sich selbst kennenzulernen – wie eine gelähmte Seele: „Es ist nicht wenig zu bedauern und keine geringe Schande, wenn wir durch eigene Schuld uns selbst nicht kennen und nicht wissen, wer wir sind.“(C, 20)

Um zu wissen, wer wir sind, für die eigene Selbsterkenntnis, ist es notwendig, den Weg in Richtung auf unseren wahren Wohnsitz einzuschlagen. Es ist ein Ort, in den wir eintreten müssen, in dem wir aber schon sind; es ist notwendig, in sich selbst einzutreten: „Wir wollen nun wieder zu unserer schönen und wonniglichen Burg zurückkehren und sehen, wie wir in sie eintreten können. Dies scheint zwar eine unsinnige Rede und dasselbe zu sein, wie wenn ich zu jemand sagen würde, er solle in ein Zimmer gehen, in dem er schon ist; denn wenn diese Burg unsere Seele ist, so folgt ja klar, daß wir nicht hineinzugehen brauchen, weil beides, die Burg und die Seele, dasselbe ist. Ihr müßt jedoch wissen, daß man in sehr verschiedener Weise an einem Orte sein kann.“ (C, 22)

Es gibt also zwei Weisen des Seins. Einmal die verdrängende und sich selbst gegenüber blinde Weise einer Person, die sich wenig daraus macht, wer sie ist. Es handelt sich hierbei um eine verwirrte und verstümmelte Seele, die um die Burg herumschwirrt, die jedoch der Wohnsitz von jemand anderem zu sein scheint. Dann aber gibt es eine volle Weise des Seins, eines Seins in Wahrheit, das die eigene Natur und den eigenen Wohnsitz kennt.

Der Weg der Vollkommenheit heißt folglich, dazu zu kommen, das zu sein, was man in Wirklichkeit schon ist; es ist das, was man ist, dieses wahre Sein, das einem erlaubt, souverän zu sein.

Das eigene Zentrum, den eigenen Wohnsitz zu finden, befreit in der Tat die Souveränität des Subjekts in der Welt und gibt es der Welt zurück.28

In der siebten Wohnung der inneren Burg angekommen, hören die Zeichen der Ekstase auf: „Es wundert mich wirklich, daß alle Verzückungen ein Ende nehmen, wenn die Seele zu dieser Stufe gelangt ist (dieses Aufhören der Verzückungen ist nur von dem Sichverlieren der Sinne zu verstehen). Kommen sie zuweilen auch noch vor, so sind es doch nicht jene Entrückungen und Geistesflüge (von denen früher die Rede war).“(C, 219)

Die Seele wurde zu etwas, das auf einzigartige Weise über Kraft verfügt und sie „verliert diese große Schwäche, die ihr sehr peinlich war und sie nie verließ.“(C, 219 f.) Des weiteren hört die beständige Furcht vor Täuschungen auf. Denn die Seele und Gott können sich „in tiefster Stille“ ergötzen (C, 218), weil die Seele, die nun das Göttliche selbst hat und mit diesem wohnt, künftig weder des Genusses noch der spirituellen Ratgeber bedarf.29

Ein Jahr vor ihrem Tod beschreibt Theresa im letzten ihrer spirituellen Berichte30 diesen Zustand mit großer Gelassenheit: ihre Seele „befindet sich sozusagen in einer Fassung, von der aus sie ihre Herrschaft ausübt, und sie verliert in keiner Weise den Frieden.“ (RS, 464) Sie wird nicht länger entrückt und auch die imaginierten Visionen hören auf. Was aber bleibt, ist die beständige geistige Vision der Trinität und des Menschseins Christi, außerdem die inneren Gespräche, in denen sie Rat findet.

Auch wenn Theresas Kraft des Begehrens in mancher Hinsicht abgenommen hat, so will ihr Wille nichts anderes als der göttliche Wille, „mein Wille widersetzt sich doch niemals, selbst nicht durch eine anfängliche Regung.“ (RS, 467) Da dieser Wille wiederum möchte, daß sie lebt, lechzt Theresas Seele nicht mehr danach zu sterben, sondern sie will leben.

Wie auch immer dieser Zustand beurteilt werden könnte – sie zeigt in den spirituellen Berichten, daß sie sich auf eine ganz bestimmte Weise dem Urteil unterwirft, so sehr sie auch erklärt, daß sie keine Furcht mehr vor Täuschung hat noch sich an Gelehrten und Theologen zu wenden wünscht -, Theresa fühlt sich gedrängt zu betonen, daß sie „in allem, was in [ihr] vorgegangen ist und jetzt noch vorgeht, nichts tun kann.“ (RS, 466)

Was Theresa tut, ihr Tätigwerden, ihr Verlangen, ihre Gefühle, sind für sie Frucht der Notwendigkeit. In der intimsten Wohnung der inneren Burg und auf der extremsten Stufe des Wegs der Vollkommenheit erkennt die Seele die Notwendigkeit an, die sie angetrieben hat und sie noch bewegt. Es ist aber kein Zustand stumpfsinniger Harmonisierung ohne jedes Verlangen, ohne Bewegungen oder Handlungen. Die Seele würde hier im Gegenteil „von dem aber, was sie noch zu tun vermag und was nach ihrer Auffassung zum Dienste des Herrn gereicht, […] um nichts in der Welt unterlassen.“ (C, 215) Während der „mystischen Vermählung“, so nennt Theresa die siebte Wohnung, wird auch die Hochzeit der Seele mit der Welt gefeiert: „Dahin, meine Töchter, zielt das innere Gebet, und dazu führt auch die mystische Vermählung, daß aus ihr unaufhörlich Werke, (vollkommene) Werke hervorgehen.“ (C, 224)

Wenn man im Zentrum der Burg angekommen ist, schläft man nicht, „vielmehr kündigt […] die Seele von dort aus den Kampf an“. Die Worte sind hier Werke, ebenso wie das göttliche Wort Werk ist, Martha und Maria – das aktive und das kontemplative Leben – stimmen überein, und man wünscht nicht länger zu sterben, sondern zu leben, um dem Herrn besser in der Welt zu dienen.

Das, was von uns abhängt

An diesem Punkt kehrt jedoch – und mit diesem Thema schließt Theresa die Seelenburg ab – eine Schwierigkeit zurück, die sich schon zu Beginn des Wegs zeigte. Theresa sieht voraus, daß ihre Nonnen entgegnen könnten, ihnen sei „keine Möglichkeit und keine Gelegenheit gegeben, Seelen für Gott zu gewinnen; ihr würdet es mit Freuden tun, aber ihr hättet weder zu lehren noch zu predigen, wie die Apostel getan, und wüßtet darum nicht, wie ihr es könnt.“ (C, 228)

Es geht also darum, wie die großen Begehren sich in der Welt realisieren und inwiefern sich Möglichkeiten zum Handeln finden lassen, während doch die Möglichkeiten des Handelns und die Gelegenheiten, die existierende Ordnung zu modifizieren, stark begrenzt sind und die Frauen nur wenig gesellschaftlichen Einfluß haben.

Wenn solche starken Hindernisse einer Realisierung entgegenstehen, kann sogar das Nähren von großen Begehren, das Theresa immer empfiehlt, einen dämonischen Hinterhalt verbergen: „Ich habe euch schon anderswo gesagt, der böse Feind flöße uns manchmal ein Verlangen nach großen Dingen ein, damit wir nicht in dem uns Möglichen dem Herrn zu dienen uns bemühen, sondern uns zufrieden geben mit dem Verlangen nach dem Unmöglichen.“ (C, 229)

Theresas großer Realismus mißt sich in der Aufmerksamkeit dafür, die Größe des Begehrens und praktikable Handlungen zusammenzubinden, ohne daß die letzteren das Begehren mindern. Denn, so muß man sich erinnern, „um so besser, daß, auch wenn große Werke fehlen, es wenigstens große Wünsche gibt.“ (P, 240) – Und indem sie vermeidet, daß das große Begehren in der Unmöglichkeit, irgendwie Realität zu stiften, auf der Strecke bleibt. Es handelt sich dabei um eine Frage der Objektivierung: Wenn das Begehren und die Begrenztheit des möglichen Handelns miteinander auf schlechte Weise reagieren, besteht die Gefahr einer Verarmung des Begehrens und seiner Ent-Realisierung. Mit anderen Worten: Es ist ein Fehler, das Begehren in das Irrationale zu verbannen und dem begehrenden Subjekt, dem sich das Handeln im Realen versperrt, Realität abzusprechen.

Das Hindernis in diesem perversen Mechanismus liegt nicht so sehr darin, daß die Wünsche zu groß sind; und ebensowenig darin – auch wenn das absurd scheint -, daß die existierende Realität weit davon entfernt ist, so zu sein, wie man sie sich wünscht. Die existierende Realität ist einfach so, wie sie ist, sie konstituiert zwar das Gegebene, kann für das Handeln des Subjektes mehr oder weniger hinderlich sein und ist immer mehr oder weniger von dem entfernt, was wir uns wünschen. Wie auch immer, an dieser Realität müssen sich die Wünsche messen.

Man kann also dieses Problem nicht angehen, ohne zwei existentielle Bedingungen in Betracht zu ziehen: Erstens, daß das reale Begehren schon an und für sich mit dem, was ist, zu tun hat, und zweitens, daß es auf jeden Fall erforderlich ist, über die notwendige Vermittlung zwischen dem Begehren und der Tat zu seiner Verwirklichung nachzudenken.

Daß Theresa ersteres vor Augen hatte, wird daran deutlich, daß in ihrem Denken der Weg der Vollkommenheit das ans Licht bringen soll, was schon ist, und insbesondere das, was wahrhaftig ist. Das wird auch deutlich, wenn sie die Beziehung zwischen individuellem Begehren und göttlichem Willen zum Thema macht: Subjektive Souveränität kann man dadurch erlangen, daß man zu dem in Kontakt tritt, was die wahre Souveränität besitzt, also zum göttlichen Willen. Das wahre Begehren steht also in unmittelbarer Beziehung zur Notwendigkeit.

Um mit der Souveränität der Welt in Kontakt zu treten, muß man sich von der Illusion verabschieden, man handle im Namen einer eigenen, vermeintlich absoluten Souveränität, was nämlich nichts anderes heißt, als unseren eigenen Willen mit dem göttlichen Willen zu verwechseln. Dies heißt nicht, daß man den eigenen Willen beliebig bestimmen kann, spricht also nicht gänzlich von der subjektiven Verantwortlichkeit frei. Es ist sogar geradezu unsere Aufgabe, das zu tun, was unserem Willen zu tun aufgegeben ist. Mit anderen Worten, es ist unsere Aufgabe, den göttlichen Willen zu wollen, dabei aber nicht zu vergessen, das in die Tat umzusetzen, was von uns abhängt, und dabei, so weit das möglich ist, auf die Souveränität zu verzichten, die uns gegeben ist.31

Die Bereitschaft, gehorsam zu sein und den eigenen Willen aufzugeben, genügt demnach nicht, man muß auch die Notwendigkeit des subjektiven Handelns akzeptieren: „Tun wir, was wir können, so wird Seine Majestät uns helfen, daß wir täglich mehr zu tun vermögen.“ (C, 229)

Wenn wir alles, was in unserem Vermögen liegt, auf dem Weg der Vollkommenheit tun,32 auch wenn wir darum wissen, daß das Fortschreiten auf diesem Weg mehr von der Gnade als vom Wollen abhängt, dann können wir in der Vereinigung mit dem göttlichen Willen Fortschritte machen: „Wenn ihr so ins Werk setzt, was ihr vermöget, wird Seine Majestät daraus ersehen, daß ihr womöglich noch viel mehr tun würdet“. (C, 229)

Das wahre Begehren ist also mit der Realität dessen verknüpft, was ist, und auf diese Realität ist es natürlicherweise auch ausgerichtet, weil es nach Perfektion strebt. Wenn das Begehren dagegen an nichts gebunden ist, stellt man sich vor, man sei schlechterdings absolut, losgelöst und selbständig. Man wendet sich dann nicht spontan dem Realen zu, sondern erliegt den Gefahren der Einbildungskraft. Auf diese Weise wird man trübsinnig.

Viele Nonnen im Kloster leiden unter Melancholie,33 und Theresa, die immer die Einbildungskraft und deren Täuschungen gefürchtet hat und bereits ahnte, daß ihre Erfahrungen als Frauenphantasien verurteilt werden könnten, (RS, 454) widmet diesem Problem große Aufmerksamkeit.34 Für Theresa scheint die Melancholie eine richtige Krankheit zu sein, und sie zeigt wenig Nachsicht: „Ich habe mir darum gedacht, man sollte in unseren Klöstern und in allen Ordenshäusern dieses Wort (Melancholie) gar nicht mehr in den Mund nehmen, weil es allem Anscheine nach zur Ungebundenheit führt; man nenne vielmehr diesen Zustand eine schwere Krankheit, was er auch wirklich ist, und behandle ihn als solchen.“(F, 70)

Die Melancholie kann zum Wahnsinn führen, auch wenn „die erste Wirkung dieser melancholischen Gemütsanlage darin besteht, daß sie sich die Vernunft unterwürfig macht“ und verfinstert. (F, 67) Diese Verdunkelung der Vernunft besteht darin, daß das Subjekt sich in keiner Weise auf die notwendige Abhängigkeit vom Realen bezogen sieht: „Da ich viele Personen, die mit diesem Übel behaftet sind, kennengelernt habe und mit ihnen umgegangen bin,“ so mußte ich feststellen, daß man „an ihnen Leute findet, die sich selbst nicht bezähmen können“ (F, 68) und daß „das Bewußtsein, frei zu sein, ihnen schädlich wäre.“ (F, 70)

Melancholie ist eine schwerwiegende Form des Mangels an Realitätssinn, die zugleich eine gänzlich irregeleitete Vorstellung von Freiheit hervorbringt. Aus diesem Grund muß der Melancholie durch eine Kraft, der man sich nicht entziehen kann, Abhilfe geschaffen werden: „und wenn es irgendein Mittel gibt, sie im Zaume zu halten, so ist es die Furcht.“ (F, 67)

Die Oberin darf sich nicht von Mitleid zur Nachsicht bewegen lassen, und sie muß alle Mittel heranziehen, um eine an Melancholie erkrankte Nonne von ihrem Übel abzubringen und sie davon zu überzeugen, „daß sie in keiner Weise weder in allem noch in etwas ihren Willen durchsetzen kann.“ (F, 67)

Theresa zeigt in diesem Fall extreme Härte, auch wenn sie der Priorin neben der Unbeugsamkeit auch empfiehlt, solchen Personen „als wahre Mütter großes Mitleid entgegenzubringen und alle möglichen Mittel zu ihrer Heilung zu suchen“ (F, 70). Des weiteren sollen die Priorinnen dafür sorgen, daß jene genügend essen, nicht zu viel Zeit dem innerlichen Gebet widmen und sich „viel mit Klosterämtern beschäftigen, damit sie keine Zeit mehr haben, ihrer Einbildungskraft nachzugeben; denn darin besteht ihr ganzes Übel.“ (F, 71)

Soviel Härte und soviel Sorge sind Folge von Theresas fester Überzeugung, die sie aus ihrer unmittelbaren Erfahrung gewonnen hat, daß schon eine einzige melancholische Nonne eine große Gefahr für eine kleine Nonnengemeinschaft darstellen kann. Denn das Wohl des Klosters ist das wichtigste Anliegen der Priorin und auch das von Theresa, die den Nonnen vorsteht, und die Gemeinschaft der Nonnen, die das Klosterleben bilden, muß der erste Bezugspunkt des Willens und Begehrens der Priorin und auch der Nonnen selbst sein.

 

Die zweite Burg

An dieser Stelle taucht wieder das Problem der Verwirklichung der großen Wünsche und die Frage nach der zweiten Bedingung auf, die berücksichtigt werden muß, nämlich die Frage nach der notwendigen Vermittlung. Theresa sagt hierbei, daß manchmal das Dämonische die großen Wünsche nährt, „damit wir nicht in dem uns Möglichen dem Herrn zu dienen uns bemühen, sondern uns zufrieden geben mit dem Verlangen nach dem Unmöglichen.“ (C, 229) Im nächsten Satz konkretisiert Theresa, was mit dem Unmöglichen und was mit den möglichen Dingen gemeint ist: „Abgesehen von dem Gebete, durch das ihr schon vielen Nutzen schaffen könnt, sollt ihr nicht gleich der ganzen Welt zu Hilfe eilen wollen, sondern zunächst denen zu nützen suchen, mit denen ihr zusammenlebt; dies wird um so ein größeres Liebeswerk sein, als ihr gegen diese mehr verpflichtet seid wie gegen andere.“ (C, 229)

Ein großes Begehren, das leicht die Form einer unmöglichen Phantasie annimmt, die das Handeln lähmt und gleichzeitig als Rechtfertigung für das Untätigsein dient, ist der Wunsch, die ganze Welt zu retten. Eine Nonne, die vom Glaubenseifer, von der Begierde, Gott zu dienen, und vom Opfergeist ergriffen wird, bildet sich ein, sich für die Erlösung der Welt zu opfern, und das eigene Werk sowie das eigene Leben in den Dienst dieser großen allgemeinen Rettung zu stellen. Wenn sie aber genügend Verstand hat, wird sie sich in Anbetracht der großen Sünden der Welt schnell über die Eitelkeit dieser Aufgabe und die eigene armselige Kraft klar. In einer solchen Situation, in der sie vielleicht Omnipotenz mit wirklicher Potenz verwechselt hat, gibt sie sich allein mit dem Begehren zufrieden, das zu realisieren, was ihr unmöglich ist und überläßt sich ihrer wirklichen Machtlosigkeit. Dabei verliert sie vielleicht sogar ihr Seelenheil.

Die möglichen Dinge, die nur allzu oft vernachlässigt werden, haben dagegen den konkreten Vorteil, denen zu nützen, mit denen man zusammenlebt, also in Theresas Fall den anderen Nonnen, mit denen sie das Leben in der klösterlichen Gemeinschaft teilt. Deshalb ist es notwendig, alle Aufmerksamkeit zuerst auf den Nutzen für diese nächsten Gefährtinnen zu lenken. Denn sie sind es, denen man am meisten verpflichtet ist.

Das gilt natürlich auch für Theresa selbst und ist in ihrer unmittelbaren Erfahrung begründet: Aufgrund ihrer eigenen Erfahrung gewann Theresa die Überzeugung, daß auf dem Weg der Vollkommenheit die anderen Nonnen den ersten Bezugspunkt bilden müssen, und sie erkannte, daß sie durch diese Verpflichtung an die anderen Nonnen gebunden war. Dieses Gefühl, verpflichtet zu sein, ist gleichzeitig das Wissen um die Bindung, die sich aus gemeinsamen Lebensumständen ergibt, und die Anerkennung einer tatsächlichen Verpflichtung. Auch Theresa ist einmal eine Nonne gewesen, die nach Vollkommenheit strebte, die von göttlichem Opfergeist durchdrungen war und die von der Feindseligkeit der Welt gezwungen wurde, das eigene weibliche Elend anzuerkennen und darunter zu leiden: „Daß ich ein Weib und elend und nicht imstande sei, das zu tun, was ich zum Dienste des Herrn tun zu können wünschte, erfüllte mich und erfüllt mich noch jetzt.“ (CP, 22) In diesem schon erwähnten Bericht über die eigene vergangene Erfahrung stellt Theresas Entscheidung, „das Wenige zu tun, was an mir lag“ (CP, 23), den entscheidenden Wendepunkt dar.

Dieses Wenige, das an ihr lag, erkennt Theresa darin, den Ratschlägen des Evangeliums mit größtmöglicher Perfektion zu folgen und „die wenigen Nonnen, die hier sind, zum gleichen Streben anzuhalten“. (CP, 23) Der Grund für diese Entscheidung wird von Theresa aufrichtig erläutert: „Wenn diese Nonnen, dachte ich, so wären, wie ich sie mir meinem Verlangen gemäß vorgestellt hatte, so würden unter ihren Tugenden meine Fehler wirkungslos bleiben, und ich könnte so den Herrn in etwa zufriedenstellen.“ (CP, 23)

Theresas Wahl scheint folglich nicht nur durch den Willen diktiert zu sein, dem Weg der Vollkommenheit getreu zu folgen, sondern auch durch das Bedürfnis nach einem wertschätzenden Kontext, der dem eigenen, persönlichen Weg Kraft gibt und das Handeln effektiv macht. Dazu kommt das Vertrauen, das Theresa für eine wichtige Tugend von ihresgleichen hält, eine Tugend, die allerdings auch ihr selbst zum Vorteil gereichen kann, statt in den Dienst Gottes gestellt zu werden, wie Theresa bescheiden und realistisch einräumt.

Aber nicht nur die Absicht, sich gegenseitig zu stärken, sich wertzuschätzen und das Handeln wirkungsvoll zu machen, verbindet Theresa mit anderen Frauen. Vielmehr gibt es einen anderen Aspekt, der eine viel stärkere Verbindung begründet und viel direkter die Pflicht ins Auge faßt: die Autorisierung, die sie von den anderen Frauen ableitet. Denn die Bezugnahme auf die anderen Nonnen ist für Theresa tatsächlich die Grundlage für die Möglichkeit des Sprechens schlechthin, für die eigene Freiheit und – im Hinblick auf das Risiko, das ihre Reformtätigkeit mit sich bringt – auch für die Möglichkeit des eigenen Lebens.

Besonders offensichtlich wird die Existenz und die Funktion einer solchen Bereitschaft zur autorisierenden Bezugnahme, wenn man die Weise des Sprechens in Betracht zieht, die für Theresa das Schreiben beinhaltet. Die Schrift nimmt bei Theresa offensichtlich eine grundsätzliche Bedeutung an, auch wenn sie erst im reifen Alter zu schreiben begann – den ersten spirituellen Bericht, der leider verloren ging, verfaßte sie im Jahr 1556 -, also zu einer Zeit, als sie in ihrer eigenen spirituellen Entwicklung bereits sehr fortgeschritten war. Offensichtlich begann sie mit dem Schreiben auf Anordnung ihres Beichtvaters. In dieser ersten Phase schrieb Theresa vor allem über das, was ihr geschah, sie erstattete Bericht, indem sie die eigene Gebetspraxis beschrieb und das Ganze dem Urteil der kirchlichen Autorität vorlegte. Bald aber bekam dieses Ziel einen viel tieferen Sinn, und Theresa begann eine ausführliche spirituelle Biographie zu verfassen: Die Vita.

Obwohl Theresa darin, wie auch in den späteren Werken erklärt, daß sie den Text aus Gehorsam gegenüber der Anweisung ihrer Beichtväter schreibt, gibt ihr die Niederschrift der Vita doch die lang ersehnte Möglichkeit, sich selbst und ihrer Erfahrung Realität zu geben, einer Erfahrung, die sicherlich maßlos und unkonventionell war, wenn man in Betracht zieht, was Menschen normalerweise vom Leben erwarten. Das größte Problem, das Theresa beim Schreiben hatte, war, etwas in Sprache umzusetzen, das zum Erfahrungswissen gehört, weshalb es aufgrund seines Wesens nicht auf Sprache reduzierbar ist, in dieser Sprache sagbar dennoch werden zu lassen.

Angesichts dieser schwierigen Aufgabe wandte Theresa eine Methode an, die sie auf unterschiedliche Weise abwandelte: Sie ließ die Sprache auf etwas reagieren, das nicht Sprache ist. Sie schlug also nicht um jeden Preis den Weg der sprachlichen Verkürzung ein, indem sie zum Beispiel versuchte, etwas in die Sprache und in linguistische Formen hineinzutragen, was durch diese unausweichlich verraten würde beziehungsweise dem diese nicht angemessen sind. Vielmehr hält sie bewußt die Verbindung zwischen der Sprache und der lebendigen Erfahrung lebendig, die die Sprache beseelt, ebenso das Verhältnis zur Welt, die die Sprache untermauert.

Dabei werden verschiedene Strategien deutlich: Sie zeigt die Unmöglichkeit der Sprache an, die Sache selbst zu sagen, sie erklärt die Sprache für faktisch völlig ungeeignet und steigert diese mit der Absicht, den Sinn zu verkehren; sie appelliert an die allgemeine Erfahrung und an bekannte Vergleiche aus der Erfahrungswelt, sie verändert die Bedeutung der Begriffe oder beginnt selbständig zu benennen und neue Worte zu erfinden, und so weiter.35

Ihre wichtigste Strategie ist jedoch die, die Bindung der gesprochenen und der geschriebenen Sprache an den Kontext und die Bedingungen explizit zu machen, die die Sprache erst hervorbringen und übermitteln. Auf diese Weise durchschreitet der Prozeß des Schreibens den reinen Ausdruck und erzeugt vielmehr eine Objektivierung mittels eines reinen Begriffs, der zum Auslöser und Vermittler von Objektivierung wird. Indem Theresa der Notwendigkeit nachkommt, die eigenen Wurzeln aufzuzeigen und auch selbst Wurzeln zu schlagen, wird ihre Schrift nicht nur wortgewandt, sondern auch fruchtbar und dazu fähig, die eigene einzigartige weibliche Erfahrung in Worte zu fassen und damit das weibliche soziale Leben hervorzubringen und zu vermitteln. In der Vita geschieht dies, indem Theresa deutlich ihre eigene Situation vor Augen führt, daß sie nämlich eine Nonne und schwache Frau ist, die aus Gehorsam schreibt und der theologische Erörterungen unbekannt sind. Zugleich teilt sie mit, daß das, was sie beabsichtigt, nicht allein durch Worte erreicht werden könne. Vielmehr bedürfe es der Erfahrung des Gebets und außerdem der Erzählung über die vollendete Tatsache der göttlichen Auszeichnungen durch Gott sowie der Gründung eines reformierten Klosters.36

In ihren späteren Schriften ist die Bezugnahme auf die Tatsache der schon vorhandenen Beziehungen, die Theresa selbst angeregt hat und in denen das Phänomen ihrer Niederschriften sowohl eingeschrieben ist als auch begreiflich wird, das Fundament, das diese Schriften überhaupt erst ermöglicht und ihre Legitimität und sogar ihre Notwendigkeit begründet. So wird in den Klosterstiftungen sichtbar und evident, wie die große Anzahl und der Erfolg der Stiftungen der Unbeschuhten den Erzählungen Theresas zugrundeliegt. Die Niederschrift vom Weg der Vollkommenheit wiederum ist darin begründet, daß „die Nonnen dieses Klosters“ das Manuskript der Vita nicht lesen konnten, weil es sich in den Händen der kirchlichen Autorität befand, und „mich recht inständig [baten], ihnen etwas über den erwähnten Gegenstand zu sagen, so daß ich mich entschloß, ihnen zu willfahren.“ (CP, 19) Daraus ergaben sich die schon erwähnten Beobachtungen über den größeren Nutzen, den die Nonnen aus Theresas Schrift zogen, auch wenn sie, im Gegensatz zu den von Männern verfaßten Unterweisungen, „schlecht geschrieben“ war. Doch diese Männer wußten zwar gut die Feder zu führen, aber sie wußten nicht, was für eine Frau wirklich wichtig ist.

Es gibt also eine gezielte weibliche Nachfrage nach Führung und Rat, die durch die schönen Traktate der Gelehrten nicht befriedigt werden kann, nämlich die der Nonnen des Klosters der Unbeschuhten. Diese Nachfrage findet ihre eigene, elementare Antwort in den Worten Theresas, die wie die Nonnen selbst eine Frau ist, nur älter und erfahrener. Eine Frau, die zudem ihren Mitschwestern Liebe entgegengebracht hat, was unerläßliche Bedingung für wahrhafte Kommunikation und Unterweisung ist. Theresa ist sich dessen völlig bewußt: „Ich weiß, daß es mir weder an Liebe noch an Verlangen fehlt, mein möglichstes dazu beizutragen, daß die Seelen meiner Schwestern im Dienste des Herrn recht große Fortschritte machen. Diese Liebe sowie mein Alter und die Erfahrung, die ich bezüglich einiger Klöster habe, können dazu beitragen, daß ich in kleinen Sachen das Rechte besser treffe als die Gelehrten.“ (CP, 20)

Der Weg der Vollkommenheit, der ein Beispiel für Theresas Strategie ist, sich auf Frauenbeziehungen zu berufen, um ihr eigenes Sprechen zu autorisieren, ähnelt in dieser Hinsicht auch ihrem Hauptwerk Die Seelenburg. Auch dort nennt Theresa als ersten Rechtfertigungsgrund für ihr Schreiben den Gehorsam gegenüber ihrem Beichtvater und Ordensoberen Pater Gracian. Willig unterwirft sie sich seinem Urteil, falls sie, unwissend wie sie ist und ohne böse Absicht etwas sagen sollte, das vielleicht nicht konform geht mit der Lehre der Heiligen Katholisch-Römischen Kirche, der sie aber immer treu war, ist und bleiben wird.

Die Aufforderung zum Schreiben kommt also von einem Mann, der ihr in der kirchlichen Hierarchie übergeordnet ist und der ihr damit Deckung bietet beim Schreiben und Lehren, also bei einer Tätigkeit, die bei Frauen nicht gern gesehen wird.37 Auch das abschließende Urteil schreibt sie scheinbar Männern zu, wenn nämlich jener Beichtvater und „gelehrte Personen“ beurteilen müssen, ob Theresas Worte mit der Kirchenlehre konform gehen oder nicht. Ein solches Urteil zu fällen, kommt einer unwissenden Nonne nicht zu, die nur ohne Arglist und in voller Aufrichtigkeit ausspricht, was sie weiß und glaubt. Andererseits kommt dieses ihr eigene Wissen direkt von Gott, weshalb sie selbst eigentlich nicht die Autorin ist. Darauf weist sie ihre Leserinnen ausdrücklich hin, wenn sie sagt, „daß das Gute, das ich etwa vorbringen werde, nicht von mir stammt.“ (C, 18)

Auftrag, Autorisierung durch die Hierarchie und Urteil werden von Theresa also genau bestimmt, und sie alle sind männlich. Angesichts eines solchen Aufgebots an männlicher Macht führt Theresa vor allem ein eher formales Bekenntnis ihres Gehorsams ins Feld und zeigt, daß Frauen im Hinblick auf die Urteilskriterien der Autoritäten frei von Verantwortung sind, weil ihre Autorisierung direkt von Gott kommt. Aber das ist nicht alles: „Einer von denen, die mir diesen Auftrag zum Schreiben erteilten, sagte mir, daß die Nonnen unserer Lieben Frau von Karmel das Bedürfnis hätten, über einige das Gebet betreffende Zweifel von jemand aufgeklärt zu werden. Nach seiner Ansicht würden Frauen die Redeweise von ihresgleichen besser verstehen, und in Anbetracht ihrer Liebe zu mir brächten ihnen meine Worte mehr Nutzen als die einer anderen Person. Ich werde darum in dieser Schrift nur zu ihnen reden, und dies um so mehr, als ich die Mitteilung, sie könnte auch noch anderen nützen, für Torheit halte.“ (C, 17 f.)

Das Vorwort der Seelenburg ist häufig interpretiert worden. Michel de Certeau zum Beispiel hat die Struktur dieser Passage aufgezeigt,38 die er als eine Art soziale Inszenierung des Namens des Vaters beschreibt, als eine männliche Ordnung, innerhalb derer ein weiblicher Diskurs stattfindet. Ein weibliches Wort steht also einem männlicher Akt der Einrahmung der Schrift gegenüber.39

Viel wichtiger als die vermutete Weiblichkeit der Rede, die sich hier in die männliche Ordnung der Sprache einzuschleichen vermag, scheint mir jedoch, daß hier ein Bedürfnis nach Worten weiblicher Subjekte artikuliert wird, die in der existierenden männlichen Ordnung Orte des Lebens, des Sprechens und Schreibens eröffnen und beschreiben können und so den Entwurf einer anderen symbolischen und sozialen Ordnung umreißen. Dies wird in den zitierten Sätzen deutlich durch die Anfrage nach Erläuterung, die aus den von Theresa gegründeten Ordensklöstern kommt, und durch Theresas Fähigkeit, die eigene Schrift zu situieren und die Umstände zu umschreiben, die zu ihrer Beauftragung führten.

Diese Fähigkeit Theresas hat Rosa Rossi ans Licht gebracht. Sie hat die Konstruktion der Beauftragungsszene aus Theresas Blickwinkel analysiert und betont, daß die wichtigste Voraussetzung, unter der eine Frau einen Text schreiben konnte, diejenige war, daß der Auftraggeber männlich und die Adressatinnen weiblich waren.40 Rossi kritisiert, daß Theresas Worte oft zu wörtlich genommen werden, und betont statt dessen den Wert der literarischen Fiktion in ihrer Schrift, die notwendig war, weil sie unter Bedingungen schrieb, die den freien weiblichen Ausdruck verhinderten.

Ich glaube aber, daß in diesem Fall wörtliche Interpretation glaubhafter ist: Wenn es wahr ist, daß Theresa bei der Anfertigung des Vorworts unter Beweis stellt, daß sie beim Schreiben eine bestimmte Kunstfertigkeit anzuwenden weiß, dann ist das nicht bloß eine literarische Kunstfertigkeit, sondern vielmehr ein reales Dispositiv, durch das Theresa zur Schöpferin ihrer eigenen Freiheit wird.

Was Theresa tatsächlich gelingt, ist nicht nur, daß sie durch einen Trick den Skandal der eigenen literarischen Produktion akzeptabel macht, sondern sie ist in der Lage, die Bedingungen selbst, also den logischen und konkreten Ort der eigenen Worte, zur Welt zu bringen.41 Theresa erfindet keine Geschichte zu ihrer Rechtfertigung, sondern sie schreibt eine reale Geschichte, ihre Geschichte, und es ist ihr gelungen, zu deren Urheberin zu werden. Sie erzählt uns sogar noch, wie und wodurch ihr das gelang: „Frauen würden die Redeweise von ihresgleichen besser verstehen“ und „in Anbetracht ihrer Liebe zu mir“.

Es gibt einen Sinn, der nur unter Frauen zirkulieren kann, und dabei handelt es sich um etwas, das das Einander-Verstehen betrifft. Dank dieses gegenseitigen Sich-Verstehen-Wollens, der Liebe und des Vertrauens, das Bindungen stiftet, konstituiert sich trotz der Feindseligkeit der weltlichen Ordnung und der Festlegung durch das symbolisch Vorgegebene ein Kontext für eine Kommunikation, in der Sinnvolles bewirkt werden kann, das „von gewissem Nutzen“ sein kann.42

Wenn Theresa erklärt, sie wende sich nur an die Frauen, nur an ihre Nonnen, und für andere seien ihre Ausführungen nutzlos, dann gibt sie das nicht nur vor, sondern sie sagt die Wahrheit. Sich an ihresgleichen zu wenden, ist keine einschränkende Konstruktion, sondern vielmehr eine Notwendigkeit. Und diese Notwendigkeit zu akzeptieren und sich von der Illusion eines universellen Nutzens zu verabschieden, stellt wiederum eine weitere Bedingung dar, etwas anbieten und erlangen zu können, das von Nutzen ist.

Das alles hat mit dem zu tun, was ich anfangs über das zweite Unternehmen Theresas gesagt habe, nämlich die Gründung eines Ordens, und mit ihrer Strategie der Autorisierung, die zu ihrer Bezugnahme auf das Göttliche hinzukommt, nämlich die, einen weiblichen Kontext für die eigenen Worte zu aktivieren.

Im Hinblick darauf habe ich das Bild der beiden Burgen eingeführt: Während die erste Burg der Ort eines inneren Sich-Aufhaltens ist, eines Raumes, in dem man sich selbst nahe sein kann, lehren das Leben und die Worte Theresas, daß auch das Unternehmen einer zweiten Burg notwendig ist. Denn die zweite Burg ist die Ordnung, und das heißt zunächst das Kloster selbst. Es ist der physische und logische Ort, der das innere Wohnen erlaubt und dessen Bedingungen konstituiert.43 Die Klöster wiederum, die Theresa will, haben Klausur, und die Nonnen, die sich dafür entscheiden, wählen die Einsamkeit und das kontemplative Leben. Im Sinne ihrer Gründerin sind es aber keine abgetrennten und verborgenen Orte, wohin man fliehen kann. Es sind keine Verstecke.

Theresa erklärt, sie bevorzuge die Einsamkeit. Allerdings gibt sie auch zu bedenken, daß „eine Person, die immer zurückgezogen lebt […] doch nicht weiß, ob sie Geduld und Demut besitzt“ und daß ein einziger Tag, „den wir in demütiger Selbsterkenntnis verlebt haben, auch wenn er uns viel Betrübnis und Mühseligkeiten gekostet hat, eine weit größere Gnade ist als viele Tage, die wir dem Gebete gewidmet,“ und folglich weitaus besser für uns. Außerdem wäre es „schlimm, wenn man das Gebet bloß in (verborgenen) Winkeln pflegen könnte.“ (F, 53)44 Das weiß Theresa nur zu gut, denn ihr Leben verlief lange Zeit in Eingeschlossenheit, in Isolation, in Untätigkeit, in Absonderung von der Welt. Deshalb hat sie bei der Gründung reformierter Orden nicht gezögert, Regeln zu brechen und ihre eigene Sicherheit sowie die anderer aufs Spiel zu setzen, sich also zur Protagonistin einer wirklichen Revolutionierung des Gleichgewichts der damaligen Kirche und einer großen spirituellen Erneuerungsbewegung zu machen. Und dies alles aus Notwendigkeit, aus Gehorsam und Nächstenliebe, um den göttlichen Willen zu erfüllen und zum größeren Ruhm des Ordens der Heiligen Jungfrau.

Die zweite Burg Theresas ist also dieser Orden, und zwar so, wie sie ihn haben wollte, wie sie ihn gegründet und wie sie ihn eingerichtet hat. Er ist aber auch das Zeichen und Stückwerk für eine höhere Ordnung, die ihn transzendiert. Denn die Idee dieser Ordnung ist noch in einem viel weiteren Sinn zu verstehen. Der reformierte Orden Theresas begründet eine neue Ordnung der Realität, eine neue Ordnung der Welt, in der die Erfahrung und die Worte, die in Übereinstimmung mit der Wahrheit dessen stehen, was ist, Wert und Anerkennung erfahren. Diese neu gegründete Ordnung ist jetzt selbst eine Quelle von Autorisation und Stärke.

Während Theresa in der Phase der Ekstasen und in der Erzählung ihrer Vita zunächst die Wahrheit des von ihr Erlebten gegenüber ihrem Beichtvater verteidigte, der die kirchliche Ordnung repräsentiert, und sich Kraft aus Gottes Wort holte, so zieht sie ihre Stärke jetzt, beim Schreiben der Seelenburg, aus dem Verlangen ihrer Nonnen nach Worten und nach Belehrung, also aus einer anderen Ordnung, einer Ordnung, zu der sie gehört und die ihr entspricht.

Theresa hat es verstanden, reale Vermittlerin und Mutter dieser Ordnung zu sein, und Mutter wurde sie auch von ihren Nonnen genannt. Dabei beachtete sie bei all dem, daß sie nicht im Namen ihres bloßen eigenen Willens handelte, sondern aus Notwendigkeit, und betonte, daß sie nichts anderes getan hatte, als darin einzuwilligen, eine viel größere Vermittlerin und Mutter zu verkörpern, der sie den Namen Maria, Mutter Gottes, gab.45

Sie ist die Vermittlerin, in deren Namen Theresa die Klöster führte und deren Kleid sie trug: „Auch ihr tragt dieses Kleid; lobpreiset Gott dafür! Denn ihr seid in Wahrheit Töchter dieser Herrin. Ihr müßt euch deshalb nicht schämen, daß ich so böse bin, da ihr eine so heilige Mutter habt. Folget ihr nach und erwäget, wie erhaben diese Herrin sein muß, welch ein Glück es ist, sie zur Beschützerin zu haben, da sogar meine Sünden und meine Armseligkeit es nicht vermochten, den Glanz ihres Ordens auch nur im geringsten zu verdunkeln.“ (C, 47)46

Übersetzt von Andrea Günter

 

 

Note

1 Theresa erzählt ihr Leben in: Theresia von Jesus: Das Leben der Heiligen Theresia von Jesus. Sämtliche Schriften der Heiligen Theresia von Jesus, Bd. I, hg. v. P. Aloysius Alkofer, München, Kempten 1990. Folgende Zitationsweisen und Siglen ihrer Schriften sind üblich: V: Vita, Bd. I; CP: Weg der Vollkommenheit, Bd. VI; C: Die Seelenburg, Bd. V; F: Klosterstiftungen, Bd. II; P: Gedanken über die Liebe Gottes, Bd. V; RS: Berichte und Gunstbezeigungen, Bd. I; E: Rufe der Seele zu Gott, Bd. V.

2 Da diese Stelle in der deutschen Übersetzung nicht zu finden ist, wurde sie aus dem italienischen Text übersetzt.

3 Besonders durch Tercer Abecedario von Francisco de Osuna und durch Audi filia von Juan von Avila.

4 Im Spanien des XVI. Jahrhunderts gab es viele verschiedene religiöse Erfahrungen, die sich auf Erasmus und die Reformation bezogen und die Vermittlung der Kirche ablehnten, so die „Beatas“ und die „Alumbradas“. Vgl. M. Bataillon: Erasmo y España, Madrid 1950

5 Theresa hatte den Fall einer Nonne aus Cordoba vor Augen, Magdalena de la Cruz, die, nachdem sie zunächst sehr verehrt worden war, die Falschheit ihrer eigenen Visionen bekannt hatte. Der Fall von Magdalene stieß auf eine große Resonanz – auch in Italien wurde vielen Frauen Magdalene als negatives Beispiel vorgehalten -, und dies geschah zu einem unglücklichen Zeitpunkt, wodurch der Kirche die Figur der mystischen, visionären und prophetischen Heiligen suspekt wurde. Vgl. Gabriella Zarri: „Le sante vive. Per una tipologia della santità femminile nel primo Cinquecento.“ In: Annali dell’ Instituto storico italo-germanico in Trento VI (1980), S. 371-445

6 Es handelte sich um Guiomar de Ulloa, die seit ihrem 25. Lebensjahr Witwe war und die nicht mehr heiraten, sondern sich der Spiritualität zuwenden wollte. Sie stellt Therese einen Großteil ihres Vermögens zur Verfügung. Theresa berichtet darüber in ihrem Briefwechsel. Vgl. Theresia von Jesus: Sämtliche Schriften der Heiligen Theresia von Jesus, Bd. III und IV, hg. v. P. Aloysius Alkofer, München, Kempten 1990

7 Dieser fortwährende Betätigungsdrang und der Drang zur Wanderschaft, wegen der der päpstliche Nuntio Felipe Sega sie eine „unruhige und wanderlustige Frau“ nannte, wiederholte sich nach ihrem Tod mit ihren Reliquien, erzählt Giuliana di Febo: Teresa d’Avila: un culto barocco nella Spania franchista, Neapel 1988

8 Zu dieser Präzisierung fühle ich mich verpflichtet, obgleich sie nicht notwendig wäre. Zwar hat Emma Fattorini Klarheit in der weiblichen Annäherung an das Religiöse in einer Erwiderung auf einen Artikel Luisa Muraros eingefordert: „das eine ist das Denken gemäß eines symbolischen Horizontes, etwas anderes ist das Suchen einer gläubigen Frau“. Ich halte jedoch nichts davon, eine instrumentelle und götzendienerische Annäherung an das Göttliche von einer authentischen Annäherung, die durch ein Glaubensbekenntnis getragen wird, zu unterscheiden. Vgl. Emma Fattorini: „Un amante senza sesso in piena notte.“ In: Il Manifesto 28.7.89

* Zum Begriff „sexuiert“ vgl. Andrea Günter: „Differenza sessuale. Eine Einführung in das Denken der Geschlechterdifferenz der Mailänderinnen und von DIOTIMA.“ In: dies.: Weibliche Autorität, Freiheit und Geschlechterdifferenz. Bausteine einer feministischen politischen Theorie, Königstein 1996, S. 17 ff.

9 Ich glaube, daß dieses Prinzip die Quelle der vielen weiblichen Energien ist, die zielsicher daran arbeiten, den Schriften und Geschichten von Frauen einen neuen Wert zu geben, so als ob sie sich einerseits spontan an den eigenen weiblichen Bezugspunkt wenden, andererseits aber die Notwendigkeit sehen, die eigenen Mütter der Welt zurückzugeben, um zur Welt zu kommen.

* Vgl. Luisa Muraro: „Die denkende Differenz der Geschlechter. Eine italienische Einführung.“ In: Feministische Studien 12 (1994) 2, S. 71-80

10 Theresa schreibt mit außergewöhnlich subtiler Ironie, eine Folge der schwierigen Situation, in Anbetracht von Kontrolle und Zensur durch die Beichtväter und der kirchlichen Autorität zu schreiben.

11 Entgegen der verbreiteten Annahme widerspricht der mystische Weg nicht dem Realismus. Die Mystikerin wird nicht nur durch das Leiden an dem, was ist, gezeichnet, sondern die große Mystikerin setzt sich der Realität auch unerbittlich aus und führt unterschiedlichste Dinge aus. Wenigstens in der christlichen Tradition ist der mystische Weg mit der zweiten Bedeutung von Realismus verbunden: Er ist ein Königsweg. So spricht der Autor von Imitazione di Christo vom „königlichen Weg des Heiligen Kreuzes“. Vgl. Imitazione di Christo, ins Italienische übersetzt von Franco Fochi, Mailand 1982, Bd. 2, Kap. XII

12 Vielleicht sogar in jeder Hinsicht, was den Begriff „realistisch“ betrifft. Sie ist Realistin in der Beurteilung der Dinge: der Bedingungen, unter denen sie lebt, ihrer Wünsche und ihrer Grenzen, ihrer Berufung; sie ist Realistin dabei, die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen und dazu die passenden Wege und Mittel zu ergreifen; sie ist ferner Realistin dabei, einen eigenen spirituellen Weg zu gehen, sowie im Hinblick auf den Stil ihrer Schriften.

13 So denke man an die verschiedenen Namen, die Theresa hat: Teresa Sanchez de Cepeda y de Ahumada, Teresa di Gesù, Teresa d’Avila. Mit dem ersten ist sie aufgewachsen, es ist der Name ihres Vaters und ihrer Mutter; dieser Name bot ihr eine sehr armselige Aufnahme in die soziale Welt, in der sie lebte, denn dieser Name war verdächtig, weil er konvertierte Juden sowie neureiche Kaufleute kenntlich machte, die sich ihre Ernennung zum Adel erkauft hatten. Andererseits ein Name, der sie an das Schicksal ihrer Mutter in der Ehe und deren Flucht in die Phantasie erinnern wollte. Den zweiten Namen wiederum wählte sie selbst aus und kennzeichnete mit dieser Wahl das, aus dem sie ihre Autorität bezog, sowie den, in dessen Namen sie tätig wurde. Der dritte Name wurde ihr nach ihrem Tod gegeben, er bezeichnet die Stadt, in der sie geboren und tätig wurde. In einem gewissen Sinne verkörpern sie die Etappen ihres Lebensweges: von dem einen Namen, der ihr nichts von dem eröffnete, was sie wollte, hin zu einem, der ihr Autorität gab, und zu dem, der sie mit einem Ort verband.

14 Erminia Macola hat betont, wie die Ekstasen Theresa es gestatteten, ihre Schwierigkeit im Hinblick auf die Sprache zu lösen: Theresa, die zu Brot auch Brot sagt und die keine Kenntnis vom Umgang mit Metaphern hat – es scheint also, daß sie auch zur Sprache eine arglos realistische Beziehung hat -, verkörpert vermittels der Ekstasen in sich selbst die Funktion der Metapher, was ihr erlaubt, von dem zu sprechen, was ihr geschieht. Vgl. Erminia Macola: Il Castello interiore. Il percorso soggettivo nell’esperienza mistica di Giovanni della croce e Teresa d’Avila, Pordenone 1987

15 Theresas Erfahrungen und ihre Beschreibungen des Geschehens könnten natürlich übereinstimmen, insofern man Theresas Werk als Erzählung eines Lebens und einer inneren Erfahrung betrachtet. Diese Übereinstimmung weisen ihre Schriften sicherlich auf, deren Bedeutung erschöpft sich aber nicht darin. Schon Rosa Rossi hat auf die Grenzen hingewiesen, die viele derartige Interpretationen von Theresas Werk beinhalten. Denn diese unterschätzen die Qualität der Schriftstellerin, wenn sie diese Schriften als eine Art „wilder“ Berichterstattung betrachten und sie wörtlich nehmen.

Dem Argument Rossis möchte ich hinzufügen, daß man auch die theoretische Bedeutung von Theresas Werk nicht unterschätzen darf, denn es handelt sich bei ihnen um philosophische und um pädagogisch-politische Schriften. Die Rede vom „Weg“ beispielsweise muß man also als literarische Fiktion verstehen, die der pädagogische Charakter der Schriften notwendig macht, der wiederum ein Merkmal der philosophischen Rede ist.

16 Auch in diesem Fall zeigt sich, wie sich der spirituelle Weg Theresas auf die weibliche Erfahrung stützt. Die Übungsanweisungen Theresas zu diesem Thema unterscheiden sich auffällig vom Kanon der mystischen Reisen, beispielsweise von den Anweisungen des Heiligen Johannes vom Kreuz. Darauf hat Erminia Macola hingewiesen. Vgl. Macola: Il Castello interiore, a.a.O.

17 Diese Stelle findet sich in der Originalhandschrift von Escorial, die, ebenso wie weitere Stellen, die sich auf Frauen beziehen und die aus einem bestimmten doktrinären Blickwinkel betrachtet, gefährlich zu sein scheinen, von Theresas Beichtvater zensiert wurden.

18 Siehe vorausgehende Fußnote.

19 Bekannterweise stammt das Worte „Ekstase“ vom griechischen „ex-istano“ und meint nicht nur das, was eine Person von sich selbst trennt und aus sich heraus führt, sondern auch eine Weise der Annäherung und das Sich-Preisgeben.

20 Von dieser Definition ist die Unterscheidung der verschiedenen übernatürlichen Gunstbezeigungen abgeleitet, die Theresa in „Berichte und Gunstbezeigungen“ vorstellt.

21 Damit das eigene Ermessen Schlüssel der eigenen Freiheit werden kann, hofft Theresa auf eine Vereinigung mit der Wahrheit, die sie ihrer eigentlichen Natur zuführt: „Wann wird der selige Tag erscheinen, an dem du dich versenkt sehen wirst in das unendliche Meer der höchsten Wahrheit, wo du nicht mehr die Freiheit hast zu sündigen.“ (E 318)

22 „Tochter, der Gehorsam gibt die Kräfte“, sagt die göttliche Stimme zu Theresa, die sich anschickt, die Geschichte der Klosterstiftungen aufzuschreiben. (Vgl. F 16)

23 Luisa Muraro hat die große Präsenz des Kreuzes auch bei den folgenden Frauen herausgestellt: Clarice Lispector, Simone Weil, Edith Stein, Wilhelmina, Schwester Maria de Leyva: „Im Kreuz spiegeln die Frauen ihren Schmerz und ihr Bedürfnis nach dem Unendlichen.“ Vgl. Luisa Muraro: „Commento alla Passione secondo G. H.“ In: DWF 1988, S. 5-6

24 Theresa von Avila: „Lobpreis des Kreuzes“; „Der Weg des Kreuzes“; „Kreuzesliebe“ in: Weg der Vollkommenheit, S. 313-319. Da die deutsche Übersetzung sehr vom spanischen Original und der italienischen Übersetzung abweicht, ist hier die italienische Übersetzung ins Deutsche bevorzugt worden.

25 Theresa stellt einerseits fest, daß Christus Frauen bevorzugt hat, und andererseits, daß Maria alle Männer an Vermittlungstätigkeit überragt. „Hast du ja auch, oh Herr, als du noch auf den Erden wandeltest, die Frauenspersonen nicht verachtet, sondern immer mit großem Erbarmen deine Huld erwiesen.“ ( CP, 552. *Auch hier erweist sich die deutsche Übersetzung von Theresas Schriften wieder einmal als frauenverachtend, denn im Italienischen steht satt „nicht verachtet“ „favorirle“: „sie bevorzugt“. A.G.)

Gleichzeitig charakterisiert Theresa die Vermittlungstätigkeit Marias: „In Maria findet ihr eine größere Liebe und einen stärkeren Glauben als bei den Männern, sie ist für uns unsere heiligste Mutter – wir tragen ihren Habitus – und aufgrund ihres Verdienstes verdienen wir das, was wir aufgrund unserer Schuld nicht verdient haben.“ (CP, 552, Mans. Esc., vgl. Fußnote 17)

26 Das vielleicht berühmteste Gedicht von Theresa „Sehnsucht nach dem ewigen Leben“ (CP, 273 ff.) bezeugt die Zerrissenheit der Seele, die die Fremdheit der göttlichen Wahrheit in der Welt erkennt. Das Verlangen nach Vereinigung negiert die Welt und den eigenen Körper, den das Göttliche gefangen nimmt, und wird auf diese Weise zum Despoten über das, wonach wir schmachten und was wir anbeten. Denselben Tonfall schlägt auch das Gedicht „Seufzer einer verbannten Seele“ (CP, 287 ff.) an. Hier wird die Erfahrung der Verbannung beschrieben als „Lang ist unser Weg hienieden,/ Durch der Tränen banges Tal,/ Mühevoll der Menschen Dasein,/ Der Verbannung herbe Qual/ … Düster ist das Erdenleben,/ Bitter bis zum Übermaß…“

27 Die Geschichte zeigt, daß einige Mystikerinnen leibhaftig verbrannt, andere wiederum symbolisch verbrannt wurden, indem sie für verrückt oder hysterisch erklärt wurden. So ziehen auch zahlreiche Veröffentlichungen eine Verbindung zwischen der mystischen Erfahrung Theresas und anderer Frauen und der Hysterie. Vgl. James H. Leuba: Die Psychologie der religiösen Mystik, München 1927

28 Der Weg des Vordringens in die Burg bis zu ihrem Mittelpunkt ist kein Weg der Entfremdung von der Welt, im Gegenteil. Die Burg besteht aus vielen Zimmer: also Aufgaben, in denen man sich aufhalten und zwischen denen man sich bewegen kann, wobei ein jedes seine Besonderheit hat, aber sie sind dabei nicht wie eine Zimmerflucht aneinandergereiht: „Man lasse die Seele vielmehr die Wohnungen, oben und unten und an den Seiten, frei durchwandeln, … und man zwinge sie nicht, lange Zeit nur in einem Gemache zu bleiben, und wäre es auch nur das Gemach der Selbsterkenntnis.“ (C, 28 f.) Im übrigen ist dieser Weg nicht unumkehrbar, insbesondere weil die Seele in der Welt lebt und auf viele Gefahren trifft.

29 Von großer Wichtigkeit für den Weg der Vervollkommnung hält Theresa den Genuß der Gnade, die Gott gewährt. Sie stärkt in der Nachfolge Gottes und ermöglicht, sich auf Erden an der himmlische Glorie zu erfreuen. Jenseits der Ekstasen geschieht so eine Verschiebung der Aufmerksamkeit, Theresa betont: „Dieses Haus ist ein Himmel, wenn man je auf Erden einen Himmel finden kann.“ (CP, 78)

30 Diese sprituellen Bericht sind wirkliche Berichte, in denen Theresa von den göttlichen Gnaden spricht, deren Objekt sie war. Deren Manifestationen beschreibt sie als verschiedene Typen. Und sie erkärt ihre Anbetungspraxis. Zwischen 1560 und 1581 erfuhr sie sieben solcher Manifestationen.

31 Theresa unterstreicht 1575 in den Berichten und Gunstbezeigungen: „Einst hatte ich ein Verlangen, Unserem Herren irgendeinen Dienst zu erweisen. Ich erwog dabei, wie ungeeignet ich dazu sei, und sprach zu mir selbst ‘Wozu, o Herr, willst du denn meine Werke?’ Und er gab mir zur Antwort: ‘Um deinen guten Willen zu sehen, meine Tochter.’“ (RS, 498)

32 Auch in dem schon zitierten Satz aus dem “Weg der Vollkommenheit“, in dem Theresa über ihre Entscheidung spricht, den Orden zu reformieren, hat sie sich auf die gleiche Weise geäußert: „Ich entschloß daher, das Wenige zu tun, was an mir lag.“ (CP, 23)

33 Theresa wundert sich darüber, daß Frauen, nachdem sie den schwierigen Schritt, ins Kloster einzutreten, bewältigt haben, sich von der Melancholie heimsuchen lassen und fordert sie dazu auf: „Nachdem euch nun, meine Töchter, der Herr in diesen Stand geführt hat, … tuet, was in eurer Macht liegt.“ (P, 262 f.)

34 „ Es mag vielleicht als Übertreibung erscheinen, über dieses Übel so ausführlich zu sprechen… Es geschieht dies aber aus zwei Gründen: erstens scheinen solche Personen gesund zu sein, weil sie nicht einsehen wollen, daß sie an diesem Übel leiden… denn dieses Übel ist für jeglichen Fortschritt in der Vollkommenheit weit schädlicher als lebensgefährliche Krankheiten, die ans Bett fesseln. Der zweite Grund ist der, daß man bei anderen Krankheiten entweder gesund wird oder stirbt; bei dieser wird man aber nur sehr selten gesund; auch stirbt man nicht an ihr, sondern man verliert allmählich den ganzen Verstand; das heißt man sterben, um alle anderen zu Tode zu quälen.“ (F, 71)

35 In Theresas Schriften finden sich viele typische linguistische Formeln der sogenannten mystischen Sprache, die in ihrem Fall die Suche der Mystikerinnen nach einer neuen Sprache zum Ausdruck bringen. Dabei ist bei Theresa vor allem die kommunikative Qualität der Schrift eigentümlich, die Tatsache nämlich, daß die Sprache, die das Göttliche übermitteln will, ganz und gar Sprache der menschlichen Beziehung bleibt.

36 Daß dies möglich wurde, verdankt sich eben gerade dem engen Netz ihrer Berichte, vor allem auch ihren Briefen, die überwiegend an Frauen gerichtet waren, die keine Nonnen waren, und Theresa ökonomisch oder durch ihren sozialen Einfluß unterstützten.

37 Zu Pater Gracian hat Theresa eine starke Beziehung. Einerseits ist er gelehrt, ihr politisch nützlich, ihr Beichtvater und Ordensoberer. Dann ist er bedeutend jünger als sie, Theresa könnte seine Mutter sein. Sie hatte einen großen Einfluß auf ihn, er beteiligte sich daran, den Karmel zu reformieren, wobei er in einigen apostolischen Kommissionen der Unbeschuhten Karmeliter saß. Theresa schätzte die Nützlichkeit der Beziehung mit Pater Gracian, und in Anbetracht dieser gelang es ihr, ein Gelöbnis aufrichtigen Gehorsams zu formulieren, was ihr nicht leicht fiel, denn obgleich sie immer hinter der Notwendigkeit von Beichtvätern stand, handhabte sie es in ihren Klöstern immer so, daß die Nonnen frei ihre Beichtväter wählen konnten, und achtete sehr darauf, daß jene und die Superioren sich nicht in die Angelegenheiten der Klöster der Unbeschuhten einmischten.

38 Michel de Certeau: Fabula mistica. La spiritualità religiosa tra il XIV e il XVII secolo, Bologna 1987, S. 264-267

39 Certeau zeigt eine Übereinstimmung zwischen dem weiblichen Wort und „der jüdischen Tradition der Sekina, der weiblichen Figur des Geistes und des Wortes“ auf. Ebd., S. 264-76

40 Rosa Rossi: „Il Castello interiore di Teresa d’Avila.“ In: Memoria (1983), S. 78

41 Theresa selbst legt diese Analogie zwischen der mütterlichen Zeugungskraft und ihrer eigenen Zeugungsfähigkeit nahe. In den Klosterstiftungen erzählt sie die Geschichte einer Frau mit dem Namen Theresa, die brennend wünscht, Kinder zu bekommen. Eines Nachts hört sie eine Stimme, die sagt: „Verlange keine Kinder, sonst wirst du verdammt.“ Am nächsten Tag hatte diese Frau die Vision, sie lebte in einem wunderbaren Haus mit einem Hof, dort sprach ein Heiliger sprach zu ihr: „Es sind andere Kinder als jene, die du willst.“ (F, 154) Theresa verstand, daß sie ein Kloster gründen mußte.

42 In dieser weiblichen Suche nach Kommunikation entsteht eine wahrhaft neue Sprache, die sich von der weltlichen unterscheidet, vor der man sich hüten muß: „Gott verhüte auch, daß in diesem Kloster jemals von dergleichen Dingen die Rede sei! Dies wäre die Hölle selbst.“ (CP, 140)

43 In ihrem wunderbaren Beitrag auf der Tagung „Individuen. Die Geburt des weiblichen moralischen Subjekts“ in Rom am 11.3.89 legte Emma Fattorini die Unterscheidung zwischen der weiblichen mystischen Erfahrung als Ort der Ekstase und der klösterlichen Erfahrung als Ort der Grenzen und der weiblichen Mäßigung nahe, aus der das weibliche Subjekt entstehen kann. Theresa gelingt es, diese Polarität in ein außergewöhnliches Gleichgewicht zu überführen. Vgl. Emma Fattorini: „Il soggetto donna nel personalismo cristiano.“ In: Reti (1989) 3/4, S. 111-123

44 So muß man darauf achten, nicht in die Einsamkeit zu flüchten und sich zu schnell vollkommen zu fühlen, ohne tatsächlich genügend Fortschritte zu machen: „Es scheint mir eine Anordnung der Vorsehung zu sein, daß diese Anfänger nicht zur Erkenntnis kommen, wie weit andere Seelen schon vorangeschritten sind; sonst wollten sie in ihrem Anfangseifer durch einen Gewaltsprung nicht gleich auch dahin gelangen.“ (CP, 291)

45 Während bei anderen Mystikerinnen Gott durchaus Mutter sein kann, so ist der Gott Theresas, vor allem in den ersten Phasen der Ekstase, der Sohn, Christus. Er ist eindeutig männlich, weil die Vereinigung mit ihm eine eheliche Hochzeit ist. Zu Gott als Vater unterhält Theresa ferner eine Beziehung in Form der Göttlichkeit der Trinität. Trotz der Männlichkeit Gottes zeigt Theresa bei vielen Gelegenheiten, daß sie prinzipiell im Namen der Mutter Gottes handelt. Daher habe ich den Eindruck, daß Theresa sich auf die göttliche Kraft durch die Spiegelung im Leiden Jesu bezieht. Was aber die eigenen Werke, den göttlichen Willen in die Welt zu bringen, betrifft, so bezieht sich Theresa in diesem Fall zuallererst auf die weibliche Autorität Marias, vor allem, weil es sich um das Tun einer Frau und um einen weiblichen Orden handelt.

46 Man muß hier in Betracht ziehen, daß Theresa der Figur der Maria in einem bestimmten historischen Moment Wichtigkeit zuspricht, in dem die Frage der Vermittlung durch die Madonna entscheidend im Streit zwischen der protestantischen Reformation und der Katholischen Konterreform ist. Theresa bezeugt hierbei die Überlegenheit der direkte Beziehung mit Gott durch die kirchliche Vermittlung, zugleich aber beruft sie sich auf die direkte Beziehung mit Maria als weiblicher Vermittlungsfigur.