diotimacomunità filosofica femminile

per amore del mondo numero 16 - 2019

Un'altra madre. Lezioni americane

Sich selbst zu einem Anfang Mache

Per amore del mondo 16 (2019) ISSN 2384-8944 https://www.diotimafilosofe.it/

 

 

* Questo testo è stato pubblicato precedentemente al seguente indirizzo:
http://www.bzw-weiterdenken.de/2019/08/another-mother/

 

Kaum jemand hat sich so radikal mit den Bedingungen weiblicher Freiheit auseinandergesetzt wie die italienischen Differenzfeministinnen in Mailand und Verona. Ihr vor allem von der Philosophin Luisa Muraro geprägter Ansatz ist im deutsch- und englischsprachigen Raum vielen kaum bekannt, obwohl er wichtige Impulse für aktuelle feministische Debatten enthält. Vielleicht hilft ein neuer englischer Sammelband, eine Brücke zu schlagen. In Deutschland sind „die Italienerinnen“ 1988 durch das Buch „Wie weibliche Freiheit entsteht“ bekannt geworden. Es ist ein politisches Buch, in dem ein feministisches Kollektiv rund um den Mailänder Frauenbuchladen den Forderungs- und Emanzipations-Feminismus jener Zeit kritisiert und stattdessen vorschlägt, weibliche Freiheit nicht an staatliche Gleichstellungsprogramme zu knüpfen, sondern an konkrete Beziehungen unter Frauen. In Deutschland machte diese politische Praxis unter dem Stichwort „Affidamento“ die Runde. (Ich schrieb für eine spätere Neuauflage das Vorwort).

Zwar wurde auch Luisa Muraros Buch „Die symbolische Ordnung der Mutter“ 1991 ins Deutsche übersetzt, aber schon weniger rezipiert. 1999 und 2012 folgten Übersetzungen von Texten der Veroneser Philosophinnengemeinschaft Diotima, sowie Übersetzungen weiterer Flugschriften und Textsammlungen aus Mailand. Diese Texte fokussierten erneut eher auf die politischen Aspekte des italienischen Differenzfeminismus, genauso wie zahlreiche im Internet zugänglich gemachten Texte, viele auch hier im Forum.

„Another Mother“ geht nun in der Auswahl von Texten einen Schritt vor diese Zeit zurück, nämlich zu den Grundlagen des Denkens der „Italienerinnen“. Die Aufsätze im ersten (von insgesamt vier) Teilen des Buches beschäftigen sich ganz mit Muraros bereits 1981 erschienenem Buch „Maglia o Uncinetto“ („Stricken oder Häkeln“), dessen erster Teil hier endlich auch dem nicht-italienischsprachigen Publikum zugänglich gemacht wird.

„Stricken oder Häkeln“ ist eine linguistische Auseinandersetzung mit den Unterschieden zwischen Metapher und Metonymie. Beides sind sprachliche Formen der Symbolisierung – ein Zeichen wird an die Stelle des Realen gesetzt – folgen aber gänzlich unterschiedlichen Logiken. Während bei der Metapher („Du bist wie eine Rose“) das Reale („Du“) durch etwas anderes („Rose“) ersetzt wird, wird bei einer Metonymie („Unser täglich Brot“) das Reale (Die Notwendigkeit, etwas zu essen) durch ein Symbol verdeutlicht, das eine Verbindung hält – wir essen zwar nicht nur Brot, aber auch Brot.

Während Metaphern das von ihnen Bezeichnete also re-präsentieren (sie treten an dessen Stelle), erhalten Metonymien eine Kontiguität, einen Zusammenhang, eine Verbindung zwischen dem Symbol und dem Bezeichneten. Genau dieser Aspekt wird später die Grundlage des feministischen Ansatzes der Italienerinnen: dass zwischen dem Gesprochenen und dem Realen, zwischen politischen Engagement und eigenen Erfahrungen, zwischen Institutionen und Personen eine Verbindung bestehen bleibt, „Kontiguität“ eben. Politik in erster Person statt Politik der Re-Präsentation.

Muraro kritisiert in „Stricken oder Häkeln“ eine Hyper-Metaphorisierung des Symbolischen in der westlichen Philosophie und Kultur. Tatsächlich wissen zwar alle, was eine Metapher ist, aber kaum jemand kennt das Wort Metonymie. Auch der Begriff „Kontiguität“ ist zumindest im Deutschen kein Bestandteil der Alltagssprache. Eine symbolische Ordnung, in der Zeichen und Reales auseinanderdriften, sei aber so gefährlich wie der Spruch des Zauberlehrlings: „The substitution runs the risk of being actual, effective, and irreversible.“

Während es Konsens unter Feminist*innen ist, dass das meiste von dem, was im Lauf der Geschichte über Weiblichkeit und Frausein gesagt wurde, inhaltlich falsch ist, geht Muraro einen Schritt weiter: Nicht nur der Inhalt ist falsch, der gesamte Ansatz dessen, wie gesprochen wird, passt nicht. Die weibliche Erfahrung, so Muraro, ist innerhalb der gegebenen symbolischen Ordnung ein „wilder Körper“, der außerhalb des Sozialen bleibt, weil er keine Symbolisierung erfährt. Erst die Frauenbewegung habe das geändert, indem sie eine Sprache fand, die die realen Erfahrungen konkreter Frauen mit der Welt in Austausch brachte.

Das Wichtige für feministische Praxis ist nach Ansicht der Italienerinnen deshalb nicht das Abarbeiten an der patriarchalen Logik, sondern das „farsi inizio“, das „Sich selbst zu einem Anfang Machen“. Es ist unmöglich, das „Eigentliche“ der Geschlechterdifferenz herauszuarbeiten, um es an die Stelle von als falsch kritisierten patriarchalen Symbolisierungen zu stellen, zum Beispiel neue Konzepte von Geschlecht und Gender, die besser, zutreffender, wahrer wären als die heteronormative Zweigeschlechtlichkeit. Sondern es geht darum, eine andere Form des Sprechens zu finden: Ein Satz wie „Ich bin eine Frau“ ist bereits der Beginn einer freien Symbolisierung, denn er bindet das Reale („Ich“) an ein Zeichen („Frau“), und zwischen beidem besteht eine Kontiguität. Das Frausein dieses „Ich“ beschreibt keine Identität, ist aber auch keine bloße Konstruktion.

Muraros zweites Hauptwerk „Die symbolische Ordnung der Mutter“ kann eigentlich, das wurde mir bei der Lektüre von „Another Mother“ deutlich, gar nicht wirklich verstanden werden ohne diese Grundlage. Die zentrale These des Buches lautet, dass die erste Beziehung im Leben eines Menschen, nämlich die zur Mutter (oder einer anderen Person, die sich entsprechend kümmert), eine symbolische Ordnung konstituiert, die nicht diejenige der hyper-metaphorisierenden väterlichen Ordnung ist. Die gleichzeitige Bereitstellung von Nahrung und Sprache in der mütterlichen Beziehung verbindet, was in der westlichen Kultur eigentlich immer getrennt wird: Materie und Geist, Reales und Symbolisches.

Dies ist das genaue Gegenteil einer Essenzialisierung des Mutterseins, das nun eben als Teil der kulturellen Praxis und gerade nicht als Ausfluss natürlich-biologischer Umstände gesehen wird. Selbstverständlich muss die erste Bezugsperson eines Neugeborenen, diejenige, die ihm Nahrung und Sprache gibt, nicht dieselbe sein, die das Kind geboren hat. Es muss auch nicht genau eine Person sein. Worum es geht, ist die Einschreibung eines Phänomens in das Symbolische nicht in Form einer Re-Präsentation, die den Ursprung auslöscht, sondern in der Öffnung des Realen für das Symbolische. Die „Mutter“ ist nicht eine theoretische Position, sondern ein realer Mensch, sehr häufig die Frau, die ein Kind geboren hat, aber es kann auch der Vater oder die Tante oder sonst jemand sein. So wie das „täglich Brot“ ja auch aus Ravioli oder Kartoffeln oder Brokkoli bestehen kann.

Die weiteren Teile des Buches enthalten zentrale Texte, die diesen Ansatz weiter entwickelt haben, etwa einen Aufsatz von Chiara Zamboni über Muttersprache, einen weiteren Muraro-Text über Feminismus und Psychoanalyse, einen Text von Diana Sartori über den Ausschluss der Mutter aus dem Politischen (auch in feministischen Ansätzen) sowie einen von Ida Dominijanni, der selbstkritisch bestimmte Defizite des Ansatzes aufgreift und reflektiert. Im abschließenden vierten Teil geht es in Texten von Anne Emmanuelle Berger, Andrea Righi und Cesare Casarino (die letzten beiden haben den Band herausgegeben) um eine Einordnung des italienischen Differenzfeminismus in eine breitere Landschaft feministischer Debatten.

Das Wichtigste dabei ist aus meiner Sicht Folgendes: Die Italienerinnen und besonders Luisa Muraro bestehen darauf, dass feministische Praxis sich nicht auf eine Kritik des Symbolischen beschränken kann, sondern gleichzeitig selbst die Anbindung an das Reale suchen soll. Es genügt nicht, zu zeigen, dass etwa das Bild von der Frau als „Rose“ ein Konstrukt ist. Die eigentliche Herausforderung besteht vielmehr darin, selbst eine Verbindung zwischen Realem und Symbolischem zu suchen: „The certainty that words are in relation with being and not with nothing is a certainty that we find in ourselves because it comes into being with us qua speaking subjects.“