diotimacomunità filosofica femminile

per amore del mondo Numero 8 - 2009

Lingua Materna

Märchenhaftes Barcelona

Zuerst schien mir der neue Film von Woody Allen ein Werbestreifen für Barcelona zu sein, dann ein Reigen von hübschen jungen Männern und Frauen, schliesslich war ich mir sicher, dass es sich nicht um die unterschiedlichen Facetten der Liebe handelt und die spannende Frage, ob nur die unerfüllte Liebe romantisch sein kann, sondern um ein Märchen oder besser noch um eine Allegorie über die Muttersprache. Der Film spricht darüber, welche Bedeutung die Muttersprache für unser alltägliches Leben,  aber besonders für unsere Liebesbeziehungen und in der Begegnung mit dem Fremden hat. Er zeigt auch, wohin es führen kann, wenn die Muttersprache sich einkapselt und uns in den Wahnsinn treibt oder uns in die Region der Kunst entführt oder uns manchmal in ein grausames Spiel mit der Zugehörigkeit  abdriften lässt.

Der Film mit dem Titel Vicky Cristina Barcelona will aus meiner Sicht auch keine homo- und heterosexuellen Beziehungen darstellen, sondern eher eine homo- und heterolinguistische Sprache. Die Erzählung verläuft wie in einem Märchen: Der Ort der Handlung ist so schön und Vertrauen einflößend wie die Handlung es nicht sein kann. An der Oberfläche ist alles strahlend und glänzend und die Konflikte kommen auf leichten Sohlen daher. Es passieren Dinge, die aber in der Realität nur selten vorkommen: Juan Antonio geht zu dem Tisch von zwei ihm fremden amerikanischen jungen Frauen und lädt diese dazu ein, mit ihm einen Ausflug nach Oviedo zu machen, der dann seinen Abschluss darin finden soll, dass er mit beiden ins Bett geht. Aber nicht nur Juan Antonio spricht von Dingen, die man normalerweise nicht explizitiert, sondern auch seine erste Ehefrau, von der er anfangs getrennt lebt, macht Aussagen, die man aus dem Beziehungsleben eigentlich nicht kennt. Sie ist Malerin und behauptet, nicht die Muse von Juan Antonio zu sein, wie es anfänglich erscheinen könnte, weil Juan Antonio  im ersten Teil des Films als Maler auftritt und man erfährt, dass auch seine frühere Frau malte, sozusagen in seinem Schatten stand. Sie aber behauptet von sich selbst, dass sie eine geniale Malerin sei und ihr früherer Mann alles, was er könne, von ihr abgeguckt habe, er male mit ihren Augen. Seine Weltsicht sei eigentlich die ihre.

Wie in den Märchen kann immer wieder etwas Unerwartetes passieren und die Gesetze der Realität sind außer Kraft gesetzt. Nur die Gesetze, die die Beziehungen regieren, sind ausschlaggebend. Wie schon in den Märchen die Tiere und Menschen immer die Wahrheit sagen, auch wenn sie kompromitierend ist und das Unglück heraufbeschwört, sagen auch hier die Personen die Wahrheit über ihre Beziehungen. Das sind wir aber im alltäglichen Leben nicht gewöhnt, weil wir in den Beziehungen zu den uns sehr nahestehenden Personen eigentlich fast nie die Wahrheit sagen, besonders wenn es um Beziehungen zwischen Männern und Frauen geht. Wir sagen nur, was wir verraten wollen und hüten uns davor, alle unsere Meinungen und Absichten preiszugeben. Ein Juan Antonio würde in der Realität zwar eine Verführung planen und erhoffen, aber sie doch nicht so platt und direkt zugeben. Das Liebesspiel ist ein festgefügter Reigen, der nach ziemlich eingefahrenen Regeln verläuft. Aber schon die Leichtigkeit des Stils verrät die symbolische Absicht, denn die drei Frauen sind nie wirklich eifersüchtig aufeinander, obwohl sie das gleiche Liebesobjekt begehren.

Eigentlich stehen sich zwei Männer- und Frauentypen gegenüber: Einerseits geht es um Cristina, der eine starke Verwurzelung in ihrer eigenen Kultur und Sprache fehlt und die auf der Suche nach etwas Neuem ist, etwas, was sie aus ihrer Art von Lethargie befreien könnte. Vielleicht wird sie ein Abenteuer erleben, etwas Exotisches erfahren, den Sinn des Lebens entdecken, oder eine ganz besonders aufregende neue Liebesbeziehung auftun. Allerdings weiss sie nicht so ganz, was sie eigentlich will. Sie hat keine genaueren Vorstellungen davon. Aber ihr „desiderio“, ihr Begehren, ist der Motor, der die Handlung antreibt. Juan Antonio ist genaus so wichtig für das Voranschreiten des Films, weil er in seiner gefühlsmäßigen Notlage eine offene Wunde darstellt und jede hilfreiche Hand annimmt. Da Cristina aber auf der Suche nach etwas noch Unbenanntem ist, stößt sie alle Türen auf, um zu sehen, was sich dahinter versteckt, auch wenn sie am Ende, nachdem sie das Geheimnuis von Juan Antonio anscheinend enthüllt hat, entdecken muss, dass sich die sexuelle Anziehung zu Juan Antonio nicht in Leidenschaft zu ihm verwandelt hat und sie es nicht vermag, sie aus ihrer Lethargie zu befreien. Vielleicht weil sie keine authentische Sprache mit ihm entwickelt hat.

Vicky steht ein wenig im Schatten von Cristina, aber dadurch ist sie auch gleichzeitig diejenige, die das Nachdenken über das Geschehen zum Ausdruck bringt. Sie kommt nach Barcelona, um ihre Masterarbeit weiter zu schreiben und will deshalb die Sprache und die Kultur von Katalonien besser kennen lernen. Sie ist schon verlobt und will sich anfangs auf keine neue Beziehung einlassen, aber je länger sie dort bleibt, desto mehr wird sie durch die  schöne Fremdheit der katalonischen Sprache und Kultur verführt, dessen Ausdruck Juan Antonio ist. Sie begeistert sich für die Farben und Töne und die kulinarischen Genüsse dieses Landes. Durch die fremde Sprache erlebt sie den Alltag wie etwas Geheimnisvolles, das sie zu dem Ursprung der sinnlichen Wahrnehmung zurückführt. Auch in der kleinkindlichen Erfahrung mit Worten und Speisen ist das rationale Denken ausgeschaltet und das Lernen ereignet sich über die Sinne. Da sie aber um die Gefahren der durch Fremdheit entstehenden Euphorie weiss, baut sie anfangs hohe Mauern um sich herum auf, um sich vor der Hingabe an das Sinnliche dieses verführerischen Kosmos zu schützen

 

In dem Film, könnte man sagen, werden folgende Aussagen zur Sprache gemacht:

 

-Liebe und Sprache sind eine notwendige Einheit.

-Die Muttersprache entsteht durch die sinnnliche Wahrnehmung der Dinge.

-Die Muttersprache vermittelt uns einen begrenzten Horizont und kann deshalb leicht in eine übersteigerte Sicht der eigenen Realität

umschlagen.

-Die Fremdsprache hilft uns diese Übersteigerung und Abhängigkeit von einer begrenzten Lebenswelt zu überwinden.

– Die Fremdsprache führt uns in eine neue Welt, die uns anfangs ein euphorisches Gefühl der Freiheit vermittelt.

-Sie hilft uns aufs Neue unsere verschütteten intuitiven Fähigkeiten zu entdecken und unsere Sinnlichkeit neu zu genießen.

-Wenn aber die neue Sprache nicht aus neuen Bindungen entsteht und neue Beziehungen aufbaut, kann auch sie zu einer

Relativierung der durch die Muttersprache aufgebauten Sinnstruktur und zu einem Verlust an Wirklichkeitsempfinden führen.

 

Das will ich aber besser erklären. Es ist ja kein Zufall, dass Juan Antonio wie einen Kehrreim immer wieder den Satz „Sprich bitte auf Englisch! Hör auf, Spanisch zu sprechen!“ ausruft. Er gebraucht diesen Satz wie ein Anathema, das er besonders seiner Ex-Frau Maria Elena entgegen schleudert, die sich nämlich fast ausschließlich auf Spanisch äussert und die ihre ganze ursprüngliche Sinnlichkeit zum Ausdruck bringt. Sie sagt alles, was sie denkt und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Sie scheint keine Grenzen zu kennen und die Regeln der bürgerlichen Konversation nicht akzeptieren zu wollen. Sie spricht so ursprünglich wie ein Kind. Erst als sie eine Beziehung zu Cristina aufnimmt, versucht sie auch ihre Sprache zu sprechen. Die beiden Eheleute, sie und Juan Antonio, haben sich leidenschaftlich geliebt und tun es noch immer, aber gleichzeitig sind sie an die Grenzen ihrer Beziehung gestoßen. Sie leiden zwar unter dieser wahnhaften Beziehung, können sich aber nicht daraus lösen, weil ihnen der Blick von außen fehlt. Sie sind Opfer einer zu nahen, klettenhaften Gebundenheit, aus der sie nicht herauskommen. Über zwei Sprachen und zwei Kulturen zu verfügen, könnte für sie eine Hilfe sein, um die Differenz zu erfahren und das Leben auch aus einer Fremdperspektive erleben zu können. Dadurch dass diese  Differenz aber fehlt, gleiten sie sehr leicht in die symbiotische Beziehung zurück, die nur zwischen Mutter und Kind entsteht, aber im Leben der Erwachsenen nicht mehr möglich ist. Maria Elena hat das erkannt und findet die Beziehung zu Dritt die ideale Lösung.  Sie behauptet, dass Cristina, weil sie eine Fremde ist, das ihnen beiden fehlende Element darstellt, das sie immer gesucht hatte. Cristina mit ihrem Blick von außen erlaubt es ihnen, im Relativen zu leben und nicht mehr in einem absoluten Raum. Dieser absolute Raum ist zwar die Muttersprache als Sprache und Welt der Mutter, die sehr wohl einerseits ein Höchstmaß an Sinnlichkeit und Sinn enthält, die aber auch begrenzt ist, wenn man diese durch die Mutterbeziehung empfangene Sinnlichkeit nicht als Mittel dazu benutzt, andere neue Erfahrungen zu machen. Cristina ist die Botschafterin eines anderen Kosmos, der ihnen immer wieder beweist, dass auch noch eine Welt außerhalb der Beziehung zwischen Maria Elena und Juan Antonio existiert.

Vor allem heute können wir nicht mehr ohne diese Außenperspektive  und in einer kulturellen Einsprachigkeit leben, auch weil der Blick der immigrierten Frauen und Männer uns immer wieder an das Bestehen anderer Welten erinnert. Wir sind dem Blick der anderen ausgesetzt und können  ihn nur ertragen, wenn wir unsererseits auch so einen Blick von außen besitzen.

Für Maria Zambrano ist die Überwindung des Monolinguismus die Erfahrung des Exils. Das von ihr zuerst erlittene  und dann ganz tief angenommene und für sie unverzichtbare Exil wird zur Chiffre ihrer Philosophie und 1989, als sie schon nach Spanien zurückgekehrt ist, wird sie sagen „Ich liebe mein  Exil“. Noch weit bevor es ein geographisches, soziales, politisches Exil ist, bedeutet es für sie ein ontologisches Exil. An diesem Nicht-Ort, in diesem unbekannten Land, das dann unverzichtbar wird, entdeckt Zambrano das nackte menschliche Leben, das entblöß und tragisch, aber auch der Anfang aller Hoffnung ist. Die extreme Situation des Exils liegt in der völligen Enteigung, in der das Eigene wie auch das Firmament der festen Bezugspunkte aufgehoben ist und für immer aufgehoben und geleugnet bleibt. Das Exil ist nämlich nicht nur die Vertreibung aus dem eigenen Land, sondern die Aufgabe jeder Verankerung in einem als eigen bezeichnetem Land.

Für Cristina, die amerikanische junge Frau, scheinen die anderen Sprachen nicht zu existieren. Eigentlich eine seltsame Beobachtung von Woody Allen, denn normalerweise sind es gerade die Frauen, die sofort und liebend gerne die Sprache ihres fremden Geliebten lernen. Viel weniger, jedenfalls bei den älteren Generationen, war das bei Männern üblich. Höchstwahrscheinlich weil die Sprache für Männer im Allgemeinen einen wesentlich geringeren Stellenwert als Ausdurcksmittel hat. Cristina jedenfalls versucht nie Spanisch zu sprechen, auch wenn sie mit einem Spanier lebt, der seinerseits leidenschaftlich seine Sprache liebt. Da sie aber keinen Zugang zu der fremden Sprache hat, bleibt ihr die Lebenswelt dieser Menschen am Ende fremd. Wenn auch die Sexualbeziehung sehr erotisch  war, entsteht daraus für sie kein wirkliches Glück und keine Euphorie. Ohne Sprache kann nichts Bedeutung gewinnen und nichts Dauerhaftes entstehen. Vielleicht ist Cristina nicht fähig zu lieben, weil sie an die Liebe ausschließlich als körperliche Anziehungskraft glaubt, die sie außerhalb der Sprachen und Kulturen stellt.

So wie Cristina denken heute viele Menschen. Trotz der vielen Unterschiede untereinander glaubt man allerdings, dass eine Beziehung zwischen Mann und Frau oder auch eine gleichgeschlechtliche Liebesbeziehung etwas eher Biologisches ist, ganz universell erlebbar, und zwar außerhalb der Schranken von Sprache und Kultur. Ich glaube allerdings, dass das ein Kurzschluss ist  und Sprache zu einer echten Bindung an den anderen dazugehört. Natürlich entsteht in einer Liebesbeziehung oft eine eigene Sprache, die nur die beiden Liebenden verstehen. Ernst Leisi[1] spricht in Paar und Sprache von dieser Lust am sprachlichen Spiel. Die Sprachspiele sind aber untereinander sehr verschieden. Sie reichen von kindlichen Wortverdrehungen bis zu Chiffren und Veränderung der Syntax und überhaupt der Grammatikregeln, sie probieren eine neue Welt aus. Ich glaube allerdings nicht wie Leisi, dass es darum geht, die Verzweckung durch die Umwelt abzuhalten, sondern vielmehr, dass die Liebenden die generative Kraft der Muttersprache wieder entdecken und sie zu ihrem Genuss weiterspinnen. Strukturell wiederholen sie noch einmal die Beziehung zwischen Mutter und Kind.

Der Vater von Juan Antonio dagegen ist der Kontrapunkt zu Cristina und seinem Sohn. Er führt ganz explizit das Thema der Muttersprache ein. Er schreibt und dichtet in seiner Sprache, veröffentlicht aber nichts, denn schon das Drucken wäre eine Entfremdung und würde die Sprache aus der Dimension der Oralität herausführen. Er glaubt auch, dass es besser für ihn ist, keine fremde Sprache zu lernen, da sie den lyrischen Fluss seines Denkens und Dichtens stören könnte. Dieser alte Mann lebt in seinem romantischen Haus auf dem Land in einer längst untergegangenen schönen Welt. Er meint, dass die Länder mit ihren Kriegen und Konflikten unter der Unfähigkeit der Menschen leiden, sich wirklich zu lieben.

Würden wir seinem Ratschlag folgen, dann könnten wir nicht die doppelte Dimension der Muttersprache erfahren, die zwar einerseits einen begrenzten sinnhaften Kosmos um uns herum aufbaut, aber uns auch andererseits die Fähigkeit mit auf den Weg gibt, überall dort, wo sich Menschen begegnen, wieder aufs neue Sprache zu generieren.

Die Sprache ist immer auch die Sprache des/der Anderen: des Mannes, des Fremden, der Ausländerin, der Freundin, des Kranken, des öffentlichen Raums.

Einerseits führt uns der Wunsch nach Begegnung in einen Reigen der Annäherungen, in einen Raum der Fremdheit und des Nicht-Verstehens, der Entwurzelung, aber andererseits können wir auch nicht mehr einzig und allein in der Dimension des Eigenen verharren, wie eben der Vater von Jun Antonio, weil sie uns von der Welt des Anderen abschottet.

Vielleicht können wir zwei Figuren erkennen, die den Diskurs über die Liebesbeziehungen zu einem  Abschluss bringen  wollen: Die eine ist Maria Elena, die neben ihrem Schwiegervater ganz leidenschaftlich ihre Verankerung in der Muttersprache und der Herkunft als Boden aller künstlerischen Inspiration und sinnlichen Lebensfreude verkörpert, die aber auch dazu fähig ist, sich der anderen wie zum Beispiel Cristina zu öffnen, wobei diese Öffnung aber wiederum auf die gleiche Art geschieht wie bei der mütterlichen Initiation ins Leben: nur über die Sinne. Cristina dagegen, die von Anfang an auf der Suche nach etwas ist, wird nicht zu ihrem Ziel kommen, weil  sie aus der Fremdheit kein Erkennen schöpft. Sie bleibt ein- und ausgeschlossen in der rein physischen Präsenz des anderen, der seine Geheimnisse auf diesem Niveau nicht preisgeben kann und ihr schließlich ganz fremd bleibt. Genauso scheint ihr der eigene Ursprung wie eine Region von nebulösen Präsenzen zu sein. Da sie sich selbst fremd ist, kann sie auch im Raum der Fremdheit keine Befreiung empfinden.

In unseren multi-ethnischen Städten sind wir ein wenig alle Cristina, Vicky, Juan Antonio, sein Vater und Maria Elena. Aber wie Juan Antonio sollten wir nicht ständig wiederholen „Sprich nicht auf Spanisch!  Vielleicht ist es besser, dass wir uns auf die neuen Beziehungen wirklich einlassen und eine neue gemeinsame Sprache schaffen, vielleicht anfangs nur wie bei jedem Liebesspiel eine Geheimsprache. Die Jugendlichen in den Banlieus jedenfalls sind schon dabei, sie zu generieren. Wir sollten dabei mitmachen.

 

 

 

 

[1]              Ernst Leisi, Paar und Sprache, UTB 1978, S. 51.