Eine Veranstaltung im Züricher Labyrinth zum Diotima-Buch: “Das Fest ist hier”
In unserer Online-Zeitschrift beziehungsweise-weiterdenken (www.bzw-weiterdenken.de) veröffentlichte ich Zusammenfassungen zu den Kapiteln des Diotima-Buchs „Das Fest ist hier“. Die Frauen vom Züricher Labyrinth wählten daraufhin den Titel dieses Buches als Jahresmotto und luden mich zu einem Gespräch darüber nach Zürich ein. Die Veranstaltung begann mit einem Gang durch das Labyrinth, bei dem die Teilnehmenden darüber nachdenken sollten, was für sie ein Fest sei.
- Was ist ein Fest?
Ich beginne mit dem, was ich aus dem Diotima-Buch zu der Frage gelernt habe, über die wir alle vorhin beim Gang durch das Labyrinth nachgedacht haben. Dazu möchte ich den Beginn eines Gedichts von Emily Dickinson zitieren, mit dessen Hilfe Chiara Zamboni in ihrem Kapitel „Im Herzen des Gegenwärtigen“ auf das hinweist, wodurch aus einem Fest erst wirklich ein Fest werden kann:
„It’s all I have to bring today –
This, and my heart beside –
This, and my heart, and all the fields –
And all the meadows wide –
[…]
Übersetzt heißt das etwa:
Alles, was ich heute mitbringen kann,
ist dies, und mein Herz dazu,
dies, und mein Herz, und all die Felder,
und all die weiten Wiesen.
Das Wesentliche eines Festes hat für Chiara Zamboni mit diesem „Dies/This“ zu tun und damit, dass wir mit dem Herzen dabei sind, mit unserem Begehren, unserer Sehnsucht, unserem Engagement. Sie schreibt:
„Im Gegenwärtigen gibt es etwas, das aus seinem Inneren heraus erblüht. Wenn wir es wahrnehmen, ist es, als würden wir es erfinden. Ohne dass wir es herbeisehnen, wird es sich nicht zeigen. Wenn es in Erscheinung tritt, belebt sich das Gegenwärtige. Es ist nicht mehr das Grau in Grau, das nur von der Zukunft Gutes erwartet.
Ein Fest feiern heißt, dass wir ein solches Lebendig-Werden des Gegenwärtigen mit anderen zusammen erleben, […]. Wir teilen einen Moment der Freude mit anderen, […].
Auch die Alltagsdinge bekommen Leuchtkraft und Klarheit, wenn das Lebendige sichtbar wird, das aus dem Gegenwärtigen hervorgeht, und zum Alltäglichen hinzukommt. […] Und wenn wir dieses Etwas in die Mitte legen und den anderen anbieten, dann ist das ein Fest (S. 137).“
Auch im Alltag kann es also Fest-Momente geben, und zwar dann, wenn es uns gelingt, etwas von dieser beglückenden Lebendigkeit bei uns ankommen zu lassen und es gegebenenfalls auch noch mit anderen zu teilen. Doch es macht durchaus Sinn, Feste vorzubereiten und zu gestalten. Damit schaffen wir nämlich einen Rahmen, in dem die Bedingungen besonders gut sind, dass die besondere Fest-Qualität, jenes unbenennbare Etwas, sich ereignen kann. Herbeizwingen können wir es aber nicht. Ich denke, dass wir alle schon einmal die Erfahrung gemacht haben, dass wir von einem Fest, für das wir viel getan, bzw. auf das wir uns sehr gefreut haben, enttäuscht nach Hause gegangen sind. Denn „Dies/This“ haben wir nicht erlebt.
Was sind nun die besonders guten Bedingungen, die Zutaten für die Möglichkeit, dass wir das Lebendigwerden des Gegenwärtigen mit anderen zusammen erleben können?
Im Gedicht ist von Schönem die Rede: Felder und weite Wiesen, später kommen auch noch Bienen und Klee vor. Bei unserem heutigen Fest haben wir diesen wunderschönen Ort, das Labyrinth, das ständig mit viel Freude und Mühe gepflegt und gestaltet wird und in dem gleichzeitig auch etwas von der Sehnsucht der dort engagierten Frauen nach einer anderen Stadt, einem anderen Zusammenleben, spürbar wird.
Die vielleicht wichtigste Zutat ist Zeit: Zeit zu haben, um miteinander zu sprechen und einander zuzuhören, um zusammen zu sein und „Zeit zu verlieren“. Sich gegenseitig zu erlauben, einfach da zu sein, und die Zeit, sich auf die anderen einzulassen. Ohne das ist kein Fest möglich. „Feste entstehen nicht von allein“, schreibt Chiara Zamboni, „man braucht Zeit, um zusammen zu sein, Zeit, die dem Tun entzogen wird.“
Eine weitere Zutat ist bei den meisten Festen auch Fülle – genug zu essen und zu trinken für alle – oft sogar im Überfluss. Und dann braucht es noch – wie im Gedicht – Menschen, die beim Fest mit dem Herzen dabei sind, mit der Sehnsucht nach Begegnungen und nach dem, was das Fest und danach auch unseren Alltag mit seinem Glanz und seiner Klarheit erhellen kann. Die Qualität von Festen hänge auch von den Bindungen unter den Teilnehmenden ab, fügt Chiara Zamboni noch hinzu. Auch das ist ein Punkt, über den wir sicher gleich noch sprechen werden.
2. Über das zwiespältige Verhältnis von Frauen zu traditionellen Festen
Entlastet und gestärkt hat mich die Aussage von Diana Sartori, Frauen seien zwar nicht mehr von den Festen der Männer ausgeschlossen, doch sie seien dort nach wie vor überwiegend dienend, schmückend oder direkt als Lustobjekte anwesend, sie seien nicht Subjekte, sondern Objekte des Festes und erlebten dabei oft Traurigkeit und Entfremdung. Dies zu lesen, hat mich an viele frühere gesellige Situationen erinnert, bei denen ich mich schlecht fühlte, weil es mir in einem Kontext, in dem Frauen zu Objekten gemacht wurden, wenn auch manchmal nur auf ganz subtile, „witzige“ Weise, einfach nicht gelang, mich zu amüsieren. Ich empfand dabei hauptsächlich Scham, Schuldgefühle, Unzufriedenheit mit mir selbst, eigenes Ungenügen, merkwürdigerweise kaum Wut. Dass Frauen an solchen Festen teilnehmen wollen, ist für Diana Sartori schwer zu verstehen, denn es sei eindeutig ein Fest der Anderen, ihrer Art zu feiern, ihres Genusses, ihrer Macht, ihrer Regeneration und Neubegründung von Zeit und Ordnung: „Es gibt nichts groß zu feiern für eine Frau bei dieser Art von Fest, die sich eigentlich als Fest eines Geschlechts bezeichnen müsste“ (S. 8). Unter diesem Blickwinkel las ich, was meine Tageszeitung dieses Jahr an Bräuchen zum Maifeiertag zusammengestellt hatte. Von den acht aufgeführten Aktivitäten sind fünf gegen Frauen gerichtet oder machen sie zum Objekt, an zweien, den Demonstrationen der Arbeiterbewegung und den Maifeuern, können Frauen inzwischen teilnehmen, doch auch sie sind ursprünglich rein männlich geprägt, übrig bleibt nur der Tanz um den Maibaum, wobei der gegenseitige Maibaumklau wiederum ein rein männliches Spiel ist. Ich freue mich in diesem Zusammenhang besonders darüber, dass eine Tradition der Frauenbewegung, die inzwischen schon wieder aufgegeben worden war, von jungen Frauen nun wieder aufgenommen wurde: In der Walpurgisnacht in der Stadt zu demonstrieren und zu tanzen, mit dem Slogan „Wir erobern uns die Nacht zurück“.
Da durch die Emanzipation die Teilnahme an den „Festen“ der Männer vielfach erreicht worden ist und oft auch erwartet wird, ist es sehr wichtig, dass wir uns die Frage stellen, wie es für uns mit dem Vorhaben aussieht, uns bei ihren Festen zu vergnügen. Diese Frage ist wichtig, denn bevor ich sagen kann, „das Fest ist hier“, muss ich erkennen, dass das Fest für mich nicht „dort“ ist.
Und das gilt ganz besonders auch für die „Feste“, unter die auch plötzlich auftretende große politische Bewegungen gerechnet werden. Die Berichte junger Frauen im Buch „Das Fest ist hier“, die 2011 in Madrid bei der Bewegung um die Platzbesetzung der Puerta del Sol, in Rom 2010 bei großen Demonstrationen und 2011 in Palermo beim Gay Pride mitgewirkt hatten, zeigen ein gewachsenes Bewusstsein bei den Frauen selbst, aber zunehmend auch in den Bewegungen insgesamt, wie wichtig es ist, Frauen sprachlich nicht auszuschließen und der Differenz Raum zu geben. Und wie wichtig es auch für die jungen Frauen selbst ist, in Frauenzusammenschlüssen innerhalb der Bewegungen Stärke und neue Ideen zu entwickeln, um nicht einfach vom Geschehen mitgerissen zu werden und das Eigene dabei zu verlieren. Es sollte zu einer Selbstverständlichkeit werden – für Frauen und für Männer – dass Frauen sich jederzeit den Raum und die Zeit für feministische Zusammenschlüsse im Rahmen jeder Art von gemeinsamem Engagement für „Gutes Leben für alle“ nehmen können, ohne dass sie sich dafür rechtfertigen müssen und ohne dass die anderen sich dadurch bedroht fühlen. Denn jede politische Bewegung kann dadurch nur besser werden.
3. Das Bild vom Sprung auf der Stelle
Auf das Bild des Auf-der-Stelle-Springens möchte ich etwas ausführlicher eingehen. Die Labyrinthfrauen haben ja einen solchen Sprung auf der Stelle auf ihrem Faltblatt dargestellt und hatten offensichtlich viel Spaß dabei. Worum geht es bei diesem Bild? Diana Sartori, von der es stammt, sieht im Sprung etwas, das den üblichen Fortgang der Ereignisse unterbricht und dabei ein Risiko eingeht. Springen müssen wir, wenn es keinen Durchgang oder keine Brücke gibt, wenn es nicht weiter geht, wenn der alte Weg endet, wenn wir vor einer Leere stehen, wenn Worte fehlen, um zu vermitteln, was wir meinen, wenn es nicht mehr möglich ist, einfach weiterzumachen, wenn wir uns wirklich ändern. Um zu springen, brauchen wir Vertrauen, denn es gibt keine Garantien und Sicherheitsnetze, wir müssen uns entscheiden zu springen, die Augen schließen und uns in den Sprung hineinstürzen. Um springen zu können, muss das Bewusstsein ein wenig ausgeschaltet werden, manchmal merken wir erst hinterher, dass wir gesprungen sind.
Springen gehört zur Ordnung des Unmöglichen. Solange wir in der Falle sitzen, sehen wir nur die Unmöglichkeit, aus ihr herauszukommen. Ein Sprung ist nötig, und hinterher erkennen wir, dass er möglich war. So ging es auch den Frauen vor dem Feminismus, jede stand vor dem befreienden Sprung, doch jede musste ihn für sich tun.
Das erste, was wir nach dem Sprung begreifen, ist, dass „es“ schon geschehen ist. Manchmal dauert das eine Weile, weil wir so lange auf eine Veränderung hingearbeitet und sie herbeigesehnt haben, dass wir gar nicht fassen können, dass sie wirklich eingetreten ist. Als zweites erkennen wir, dass es, da es geschehen ist, möglich war. Der Sprung setzt also nachträglich die Bedingungen seiner Möglichkeit. Die vorausgehenden Bedingungen verursachten das Ereignis jedoch nicht, der Sprung war nötig.
Unser Leben ist voll von solchen Erfahrungen, doch in unserem gemeinschaftlichen Bewusstsein, dem Symbolischen, kommen sie kaum vor. „Der Punkt ist, dass das Ereignis, der Sprung, zurückwirkt auf die Vergangenheit, und es geht dabei nicht nur um Worte […], die Realität verändert sich, die Dinge sind nicht mehr dieselben“ (S. 21). So können wir erst jetzt, nach dem feministischen Einschnitt, wahrnehmen, dass die weibliche Freiheit immer schon da war. Wir können, wie es Antje Schrupp gerade gemacht hat, eine Geschichte des Feminismus schreiben, die bei Adam und Eva beginnt. Der Sprung verändert nämlich auch die Bedingungen der eigenen Unmöglichkeit. Was die Freiheit und den Sprung unmöglich zu machen schien, verliert im Rückblick das Zwingende und Unmöglichmachende. Denn: Es füllte nicht den ganzen Raum aus. Jene Ordnung, die etwas unmöglich machte, war im Rückblick keine Falle, sie war nicht alles. Beispielsweise schrieb Luisa Muraro in ihrem Text „Freudensprünge“ den Satz: „Das Patriarchat ist zu Ende“ und fügte später hinzu, jetzt sei der Zeitpunkt, an dem wir sagen könnten, das Patriachat habe es so, wie es dargestellt und empfunden worden war, nie gegeben. In den Diskussionen darüber konnte sie klarmachen, dass sie nicht die schlimmen Wirkungen des Patriarchats leugnen wollte, dass sie auch nicht leugnen wollte, dass das Patriarchat seit undenklichen Zeiten der Rahmen war, in den alle historischen, sozialen, kulturellen und materiellen Prozesse gefasst waren. Doch jetzt – nach dem Sprung in die Aussage „Das Patriarchat ist zu Ende“ – können wir sehen, dass es das Patriarchat in der Form nie gegeben hat, wie es sich gab, sich präsentierte, sich selbst darstellte – und auch nicht so, wie wir es wahrnahmen, erlitten und bekämpften. Denn: Es war nicht alles, es füllte nicht den ganzen Raum des Existierenden und Erlebten aus. Jetzt, jenseits des Sprungs, können wir das sehen. Wenn wir vom sterbenden Patriarchat sprechen, erkennen wir, dass es wie jedes Ding in der Welt nicht die angenommene unsterbliche Universalität besitzt, die so tut, als umfasse sie die ganze Realität. Ein Sprung bewirkt eine symbolische Revolution, die das Bezugssystem verwandelt, in dem die vielfältigen Elemente einer Ordnung sich herausbilden und aufeinander beziehen. Was umfassend war, wird relativ, zu einer Tatsache unter anderen. Was zwingend war, wird zufällig und veränderbar.
Die dritte Erkenntnis ist, dass wir uns nach einem Sprung in einem Anderswo befinden, das – in Wirklichkeit – der Ort ist, wo wir schon waren, aber doch anders. Hier wird nun das Bild vom Sprung auf der Stelle noch verständlicher. Mir fällt dazu das Bilderbuch von Janosch Oh, wie schön ist Panama! ein, in dem Tiger und Bär aufbrechen, um das wunderbare Land Panama zu finden. Nach einigen Begegnungen unterwegs kommen sie schließlich wieder in ihrem alten Zuhause an, doch das merken sie nicht, für sie ist es Panama, das Land ihrer Sehnsucht.
Der geeignete Ort zum Springen ist immer da, wo wir sind. Wir müssen nicht woanders hingehen, um von dort aus zu springen. Es könnte sonst passieren, dass wir vor lauter Suchen nach dem richtigen Ausgangspunkt gar nicht mehr zum Springen kommen. Und wir brauchen auch keine große Basis dafür – der für einen Sprung benötigte Platz ist sehr klein.
4. Wie ein Fest die Stimmung in einer Stadt verändern kann
Ein Sprung war es ja auch, den Labyrinthplatz ausgerechnet hier in diesem bahnhofsnahen Viertel in einer alten Kaserne entstehen zu lassen, und sicher hielten es auch damals viele für unmöglich, dass das gut gehen könnte. Für unmöglich hielt es auch eine junge Frau aus Palermo, Maria Livia Alga, dass sich an dem negativen Image ihrer Stadt jemals irgendetwas ändern könnte, dass politische Veränderungsarbeit hier Erfolg haben könnte, in der Stadt der Mafiamorde und des Verbrechens. So zog sie um in den Norden Italiens. Inzwischen hatten aber andere einen „Sprung“ gewagt. Ausgerechnet in dieser Stadt veranstalteten sie 2010 einen Gay Pride. Und nun kam die Autorin zurück und berichtet in dem Buch „Das Fest ist hier“ von erstaunlichen Veränderungen. Als sie überall in der Stadt die Embleme des „Pride“ fotografierte, wurde sie einmal von Männern beobachtet und rechnete damit, gleich von ihnen belästigt zu werden. Sie kamen auch tatsächlich auf sie zu und meinten, da sie sich ja offensichtlich für den „Pride“ interessiere, wollten sie ihr etwas Besonderes zeigen. Sie ging tatsächlich mit und wurde auf eine Mafia-Figur in einem Laden aufmerksam gemacht, die auch das Pride-Emblem auf der Mütze hatte. „Hier sind wir alle gay“, sagte einer der Männer. Maria Livia Alga bereitete dann den nächsten „Pride“ mit vor und erzählt von vielen phantasievollen Aktionen in allen Stadtvierteln und einem noch größeren Erfolg des „Pride“ 2011.