diotimacomunità filosofica femminile

per amore del mondo Numero 1 - 2003

Un altro mondo al mondo

Dankbarkeit gegenüber Frauen als Weg, der aus dem Patriarchat herausführt

 Anfang des Jahres schaute ich mir den Film „Die unbarmherzigen Schwestern“ an. Dieser Film spielt in Irland Anfang der 60-er Jahre, also nur vor etwa 40 Jahren, und handelt davon, wie junge Frauen, die man als entehrt betrachtete, weil sie unverheiratet schwanger geworden waren, weil ihnen die Männer nachliefen und sie dies auch genossen oder weil sie vergewaltigt worden waren und dummerweise darüber gesprochen hatten, dafür büßen mussten. In einem Kloster „barmherziger Schwestern“ wurden sie als Wäscherinnen brutal ausgebeutet und menschenunwürdig behandelt, bei jeder kleinen Verfehlung oder jedem Aufbegehren geschlagen. Viele von ihnen blieben dort ihr Leben lang, sahen ihre Familie und auch ihre Kinder, die ihnen gleich nach der Geburt weggenommen worden waren, nie wieder. Der Film soll auf wahren Begebenheiten beruhen, was ich auch für wahrscheinlich halte. Denn ich habe in den 60-er und 70-er Jahren in evangelischen Fürsorgeeinrichtungen für Mädchen gearbeitet, die zwar nicht mehr geschlagen und auch nicht so brutal ausgebeutet wurden, die aber trotzdem eingesperrt wurden für etwas, was ihnen Männer angetan hatten oder wofür diese zumindest mitverantwortlich waren – und die jeweiligen Männer hatten keine Konsequenzen zu tragen.

Nach diesem Film war mir nach Freudensprüngen zumute. (Der Artikel, in dem die Diotima-Philosophin Luisa Muraro 1995 erstmals die These aufstellte, das Patriarchat sei zu Ende, trägt den Titel „Freudensprünge“). Und ich war voller Staunen darüber, wie sich die gesellschaftliche Haltung gegenüber Frauen und dem, was sie und vor allem ihre Familien damals „entehrte“, innerhalb so kurzer Zeit so stark verändern konnte. Aber nicht „es“ hat „sich“ verändert, sondern: Wir Frauen, und insbesondere die Frauen der Frauenbewegung haben diese Veränderung bewirkt. Und dafür könnten wir eigentlich dankbar sein: den Frauen, die für die Freigabe der Abtreibung gekämpft haben, z.B. denen, die sich in der Kampagne der Zeitschrift „Emma“ öffentlich dazu bekannt hatten, dass sie auch abgetrieben hatten. Denn erst jetzt mussten sich die gesellschaftlichen Kräfte, z.B. die Kirchen, die nicht wollten, dass Frauen abtreiben, dafür stark machen, dass „uneheliche“ Mütter und Kinder nicht mehr diskriminiert wurden. So gibt es jetzt in Deutschland „Alleinerziehende“ und ein neues Namensrecht, das es weitgehend unmöglich macht, Verheiratete, unverheiratete oder geschiedene Paare, Alleinerziehende und ihre Kinder auf den ersten Blick zuordnen zu können. Dankbar sein könnten wir auch den Frauen, die sich durch ihr Engagement in Notrufzentren für vergewaltigte Frauen dafür eingesetzt haben, dass diese Frauen überhaupt Anzeige erstatteten und dabei und bei den Gerichtsverhandlungen so unterstützt wurden, dass sie nicht dort ein zweites Trauma erlebten. Durch die begleitende Öffentlichkeitsarbeit dieser Frauen-Initiativen wurde die Einstellung weitgehend aus der Welt geschafft, vergewaltigte Frauen seien selbst schuld an dem, was ihnen da passiert sei und hätten es womöglich sogar gewollt oder provoziert.

Ich könnte so weiter machen und all die Initiativen und Zusammenschlüsse von Frauen aufführen, die indirekt oder direkt zu dieser einen Veränderung beigetragen haben. Aber mein Thema hat einen anderen Schwerpunkt: Ich möchte zeigen, inwiefern Dankbarkeit unter Frauen eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass wir das Patriarchat untergehen lassen können.

In dem oben erwähnten Film gibt es eine Szene, die ein wesentliches Element von „Patriarchat“ zeigt: Die Mutter einer der Protagonistinnen sitzt neben dem Bett ihrer Tochter, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hat, und blickt starr aus dem Fenster. Die Tochter bettelt darum, die Mutter solle doch ihr Kind wenigstens einmal anschauen, es sei doch so schön, sie solle doch wenigstens ein Wort zu ihr sprechen. Doch die Mutter bleibt hart. Und ungerührt lässt sie auch danach der verzweifelt schreienden Tochter durch den Vater und einen Priester ihr Kind wegnehmen und die Tochter selbst ins Kloster bringen. Denn die Tochter hat nach der Definition der Väter und männlichen Hierarchien die Ehre der Familie verletzt und gegen die patriarchale Ordnung verstoßen, und diese steht auch für die Mutter höher als die Beziehungen zu ihrer Tochter und zu ihrem Enkelkind. Im Patriarchat werden die Beziehungen unter Frauen auf vielfältige Weise dem geopfert, was Zusammenschlüsse unter Männern und ihre Institutionen als das Höherwertige definiert haben. Das Patriarchat geht zu Ende, wenn Frauen aufhören, an diese Definitionen zu glauben und ihre Bewertungen zu übernehmen. Etwas anders formuliert Luisa Muraro, was Patriarchat sei, doch es geht in die gleiche Richtung: Im Patriarchat würden Beziehungen unter Frauen und weibliche Genealogien vernachlässigt oder gar bekämpft und zerstört, während männliche Beziehungen und Genealogien auf jede erdenkliche Weise bevorzugt und gefördert würden.[1]

 

Warum gerade Dankbarkeit ein Weg sein kann, der von den gestörten und zerstörten Beziehungen unter Frauen zu gelingenden Beziehungen unter ihnen und in der Folge zum Untergang des Patriarchats führen kann, war neben der Orientierung am Begehren der Frauen das Wesentlichste, was ich von den italienischen Differenz-Philosophinnen gelernt habe. Ich möchte hier nun die Schritte nachzeichnen, die mir geholfen haben, die politische Bedeutung von Dankbarkeit immer besser zu verstehen. Das geschieht “auf dankbare Weise”, d.h. ich erzähle, in welchem Zusammenhang ich diese Gedanken für mich und mein In-der-Welt-Sein als befreiend und stärkend erlebt habe. Damit drücke ich meine Dankbarkeit aus und bezahle gleichzeitig das, was ich diesen Philosophinnen schuldig bin: Ich gebe weiter, was ich gelernt habe, ohne den Ursprung dieses Wissens zu verschweigen. Dankbarkeit ausdrücken und “Schuld bezahlen”[2] ist also eigentlich etwas verblüffend Einfaches und Selbstverständliches. Kaum zu glauben, daß Frauen so lange daran mitgewirkt haben, den Ursprung allen Wissens und Könnens und aller kulturellen Errungenschaften bei Männern zu suchen bzw. ihn ihnen zuzusprechen.

Im zweiten Teil meines Referats geht es um die Fragen und Aufgaben, die sich stellen, wenn wir – von der Dankbarkeit gegenüber der Mutter ausgehend – über Erwerbsarbeit, Ehrenamt, Haus- und Familienarbeit, Geld, gerechten Tausch, Versorgung von Kranken und Alten und über Dankbarkeitsrituale im Alltag nachdenken. Diese Themen können in diesem kurzen Referat natürlich nur angerissen werden. Um zu einer breiten Diskussion über diese Fragen anzuregen, schrieb ich zusammen mit drei anderen Frauen 1999 die Flugschrift  „Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn“, in der Sie etwas mehr darüber lesen können. Ebenso in meinem Buch „Wachsen am Mehr anderer Frauen“, in dem vor allem die Themen Familien- und Hausarbeit ausführlich behandelt werden.

 

I.

 

  1. Ein Beispiel für Erfahrungen im Patriarchat, aus denen Frauen schlossen, in der Welt überflüssig und der Welt nichts schuldig zu sein

 

Als ich 1974 in den Schuldienst eintrat – in Freiburg hatten wir gerade zwei Jahre davor die erste Frauengruppe gegründet – , war mir völlig klar, wo ich mich engagieren mußte (außer im Unterricht, im Kollegium und mit Eltern), um Schule und damit Gesellschaft zu verändern: in der Gewerkschaft. Ich ging also zusammen mit einer Kollegin zur nächsten Ortsgruppe der Lehrergewerkschaft GEW und bot meine Mitarbeit an. Die Kollegen dort hatten keinerlei Interesse an meinen Vorstellungen, aber sie hatten einen Posten als Schriftführerin anzubieten, den sie uns beiden den ganzen Abend über aufschwätzen wollten. Es war klar: wenn wir nicht zum Protokollführen bereit waren, hatten wir in dieser Gruppe keinen Platz. Da so ein Frauen-Abstellgleis für mich nicht in Frage kam, war damit meine Karriere in der Gewerkschaft beendet. Ich fühlte mich mit meinem Begehren, Schule zu verändern, zurückgewiesen und überflüssig, nur weil ich eine Frau war. Und ich verallgemeinerte: In der Welt der Männer, und das war meine damalige Welt, gab es für mich keine Aufgaben, in denen ich mein Begehren verwirklichen konnte. Ich war so sehr gekränkt, daß ich mich im Gewerkschaftskontext erst wieder engagierte, nachdem ich folgendes von den Frauen des Mailänder Frauenbuchladens (Libreria delle donne di Milano) gelernt hatte: Es ist ein Irrtum, aus der Erfahrung, daß die Welt (der Männer) nicht auf mich und mein Begehren gewartet hat, zu schließen, daß ich in der Welt überflüssig bin und der Welt nichts schuldig bin. Denn – so die Frauen der Libreria in ihrem Buch “Wie weibliche Freiheit entsteht”: “Der Fehler vieler Frauen und der Politik, die sich auf die Opferthese stützt, besteht in der Überzeugung, daß eine Frau also niemandem etwas schuldig ist. Dabei wird nicht gesehen, was sie anderen Frauen schuldig ist – derjenigen, die sie zur Welt gebracht hat, denen, die sie gern hatten, denen, die ihr etwas beigebracht haben, denen, die sich dafür eingesetzt haben, die Welt für sie bewohnbarer zu machen… Der Preis der Frauen für die Freiheit besteht darin, diese symbolische Schuld zu bezahlen”.[3] Die Erkenntnis meines Eingebundenseins in eine weibliche Generationenfolge, in der ich etwas geschenkt bekommen habe, was ich weitergeben muß, beendete mein Leiden an den erfahrenen Zurückweisungen meines Begehrens im Patriarchat, das Gefühl des Überflüssigseins. Die Aufgabe, die Welt für mich als Frau und für andere Frauen nach mir bewohnbarer zu machen, erlebte ich nicht als Bedrückung, sondern als befreiend. Es war, als hätte ich dadurch die Erlaubnis bekommen, mit dem, was ich war und konnte, ohne Verrenkungen und Anpassung an mir nicht entsprechende Bilder, an dem zu arbeiten, was mir wichtig war.

 

  1. Beispiele dafür, wie fehlende Dankbarkeit den Blick verstellt für positive Veränderungen, aber auch Kritik erschwert.

 

Zum 20jährigen Jubiläum der neuen Frauenbewegung schrieb eine Soziologin ein Buch mit dem Titel: “Viel bewegt – nichts verrückt?” Das Fazit ihrer Untersuchung: “Eine wirklich augenfällige und spürbare Verbesserung der Lebensverhältnisse der Frauen … ist allenfalls in Spuren zu erkennen, …” Zum 25jährigen Frauenbewegungsjubiläum fielen die Urteile noch vernichtender aus, und zwar sowohl von Frauen, die aus der Frauenbewegung kamen als auch von denen, die nie etwas mit ihr zu tun haben wollten. In einem Zeitungsinterview bedauerten drei ehemalige Aktive den Niedergang der Bewegung und betonten, daß es wenigstens großen Spaß gemacht hätte damals, wenn es schon nicht viel gebracht hätte. In einer Gewerkschaftszeitung erschien ein Artikel mit dem Titel: “Viel Lärm um fast nichts”. Ich meine nicht, daß wir vor lauter Dankbarkeit nicht kritisieren sollen, was in der Frauenbewegung aus unserer heutigen Sicht falsch gemacht wurde. Jedoch hat eine solche Kritik nur Sinn auf der Grundlage von Dankbarkeit für das, was für uns erreicht wurde. So wäre ohne die Frauenbewegung vielleicht bis heute noch kein Artikel von einer Frau in einer Gewerkschaftszeitung erschienen, und schon gar keiner, in der die Auseinandersetzung darüber geführt wird, was sich für Frauen verändert hat. Eine öffentliche Auseinandersetzung unter Frauen wäre vielleicht immer noch genauso undenkbar wie vor 30 Jahren. Auch wenn Diotima und Libreria delle donne di Milano viele Entwicklungen der Frauenbewegung heftig kritisieren, besonders den Gleichheitsansatz, den Separatismus, die Rechtepolitik, den Staatsfeminismus und die Vorstellung, die Frauen seien die besseren Menschen oder sollten es zumindest sein, so geschieht das doch in dem Bewußtsein, selbst Teil und Erbinnen dieser Bewegung zu sein. So ist auch meine Dankbarkeit gegenüber den italienischen Philosophinnen nicht zu trennen von der Dankbarkeit gegenüber all den Frauen, die dazu beigetragen haben, daß es überhaupt eine Frauenbewegung gegeben hat und dadurch Entwicklungen in Gang gesetzt wurden und Denkprozesse angeregt wurden, die ihr Denken erst möglich gemacht haben.

In dem schon erwähnten Artikel “Freudensprünge” schreibt Muraro über die Gefahr, daß wir Veränderungen nicht wahrnehmen, wenn wir das Leiden in den Vordergrund stellen und damit das, was sich noch nicht verändert hat. Es geht auch nicht darum, solche Tatsachen zu leugnen oder kleinzureden. Muraro lädt zu Freudensprüngen für erspartes Leiden ein, so beispielsweise das ersparte Leiden der unehelich geborenen Kinder und ihrer Mütter. Und dies ist eine Form der Dankbarkeit, die uns hilft, das wahrzunehmen, was sich gerade zugunsten des weiblichen Geschlechts verändert. Es kann auch sein – so schreibt sie weiter – daß die erwünschten Veränderungen nicht so kommen, “wie wir sie erwartet haben, so daß sie gerade von denen, die sie erwartet und vorhergesagt haben, nicht erkannt werden.”[4] So denken manche Mütter der Frauenbewegungsgeneration, die Frauenbewegung sei gescheitert, wenn ihre Töchter sich dafür entscheiden, nach der Geburt ihrer Kinder einige Jahre zuhause als Mütter tätig zu sein. Zu diesem Schluss kommen sie, weil sie meinen, Erwerbstätigkeit von Frauen sei das einzige und wesentlichste Kennzeichen von Frauenbefreiung. Doch das ist es vielleicht heute gar nicht mehr, weil sich die Welt schon längst verändert hat.

Dankbarkeit im Sinne einer Anerkennung dessen, was wir bekommen haben, ist also notwendig, um positive Veränderungen wahrzunehmen. Dankbarkeit ist ebenfalls Voraussetzung und notwendige Grundlage für eine sinnvolle und wirkungsvolle Kritik.

 

  1. Das Leiden unter der Zweitrangigkeit des weiblichen Geschlechts und die Dankbarkeit gegenüber der Mutter

 

Das nächste Beispiel aus der Zeit Anfang der 60er Jahre erzähle ich etwas ausführlicher, da auch an einigen Stellen des Kontextes, auf die ich hier nicht im einzelnen eingehen kann, deutlich wird, wie viel sich für Frauen seither verändert hat.

Als ich etwa 10 oder 11 Jahre alt war, befreundeten sich meine Eltern mit einem “Arztehepaar”, so hieß das damals, obwohl natürlich nur der Mann Arzt war, und die Frau ihm in der Praxis half. Vermutlich als Gegenleistung für großzügige Einladungen in deren schöner Wohnung, die meine Mutter aus Gesundheitsgründen nicht erwidern konnte, bot meine Mutter mich Frau X. als Babysitterin an. Das Babysitten fand ich meistens schrecklich, da es mich überforderte, aber ich war gern in der Wohnung und in der Nähe von Frau X., die ich sehr bewunderte. Sie war die erste Mittelschichtsfrau, die ich näher kennenlernte. Sie hatte ein “Mädchen”, wie eine junge Frau genannt wurde, die den Haushalt führte. Sie war sogar ein bißchen berufstätig und trug dabei weiße Arztkleidung. Und sie hatte trotzdem drei Kinder, einen Jungen und zwei Mädchen. Auch gebildet war sie – vielleicht hatte sie sogar Abitur gemacht – jedenfalls gab es dort “Kultur”, vor allem wurde viel musiziert. Nach einem Besuch ihrer Schwester, die drei kleine Söhne hatte, fragte mich Frau X., ob ich nicht auch fände, daß es viel besser sei, drei Söhne zu haben als einen Jungen und zwei Mädchen. Sie jedenfalls hätte viel lieber nur Söhne. Ich konnte es zunächst gar nicht fassen, daß die von mir so bewunderte Frau dies sagte. Ich dachte kurz an die beiden kleinen Mädchen, die ich ja trotz meiner Probleme beim Babysitten mochte, und konnte es noch weniger glauben. Dann erst nahm ich wahr, wie ungeheuerlich es war, daß diese Frau mir gegenüber eine solche Aussage machte, da ich ja auch eine Tochter war. Aber ich spürte nicht Wut, sondern Scham über meinen weiblichen Körper und darüber, daß ich mir eingebildet hatte, von dieser Frau auch gemocht zu werden.

Daß Jungen mehr galten als Mädchen, war mir natürlich nicht neu. Die Welt meiner Kindheit war voll von Geschichten von Männern, die ihre Frauen nach der Geburt einer Tochter noch nicht mal im Krankenhaus besuchten oder sich gar von ihnen trennten, weil sie ihnen keinen Sohn geschenkt hatten. Immer wieder wurde über Familien, die viele Töchter hatten, so gesprochen, daß diese es halt immer wieder probiert hätten, einen Sohn zu kriegen, und dann war es wieder eine Tochter geworden. Und irgendwann hatten sie dann aufgegeben. Dies empörte mich, es war jedoch auch weit weg, betraf mich nicht persönlich. Die Männer, die sich nicht über eine Tochter freuten, waren für mich einfach dumm. Es war eine Frau, durch die ich die Erfahrung des Leidens an der Zweitrangigkeit des Weiblichen machte.

Heute wird Mädchen lange nicht mehr in dem Ausmaß wie damals vermittelt, daß sie weniger wert seien als Jungen. Dies verdanken wir den Müttern, die sich nicht mehr an den Wünschen der Väter und Großväter nach Stammhaltern, sondern an ihrem eigenen Empfinden orientierten, nach dem jedes Kind, das sie ausgetragen und zur Welt gebracht hatten, gleich viel wert war, und die Beziehungen zu ihren Töchtern vielleicht sogar eine besondere Bedeutung bekamen. Dieses Stück Patriarchat ist weitgehend zu Ende und geht in anderen Ländern, wo es noch existiert, seinem Ende entgegen. Erspartes Leiden, das für Luisa Muraro ein Grund für Freudensprünge war.

Noch zwei Beispiele für das Leiden unter der Zweitrangigkeit des weiblichen Geschlechts und die Veränderungen in diesem Punkt:

1972 und 1973, also kurz nach Beginn der Frauenbewegung, ließ ich in Schulklassen, in denen ich unterrichtete, Aufsätze schreiben, um herauszufinden, welche Einstellung die Kinder zu ihrem eigenen Geschlecht hatten. Zur Wahl standen die Themen: “Warum ich froh bin, ein Mädchen bzw. ein Junge zu sein”, “Warum ich lieber ein Mädchen bzw. ein Junge wäre”. Bis auf einen Jungen, der Bluter war, waren alle Jungen froh über ihr eigenes Geschlecht, während etwa die Hälfte der Mädchen, in einem Fürsorgeheim sogar die Mehrheit, lieber Jungen sein wollten. Marga Bührig, eine der ersten Pfarrerinnen in der Schweiz, später aktiv in der Frauenkirchenbewegung und im Weltkirchenrat, die ich als über 80jährige bei einem Frauenkirchentreffen kennenlernte, schrieb in den 80er Jahren ein Buch mit dem Titel “Spät habe ich gelernt, gern Frau zu sein”. Darin beschreibt sie, wie sich ihre Einstellung zum Frausein durch den Kontakt zur Frauenbewegung und die in ihr entwickelte feministische Theologie und Matriarchatsforschung verändert hat. Ein Buch voller Dankbarkeit, für das wohl auch gilt, was die Frauen der Libreria delle donne di Milano 1987 geschrieben haben: “Eine einzelne Frau, die einer anderen gegenüber Dankbarkeit zeigt, weil diese ihr etwas gegeben hat, ist für die Befreiung des weiblichen Geschlechts mehr wert als eine Gruppe oder eine ganze feministische Bewegung, in der diese Dankbarkeit fehlt.”[5]

Luisa Muraro stellt die These auf, Voraussetzung für ein authentisches Selbstbewusstsein von Frauen sei die Dankbarkeit gegenüber der Mutter, die uns zur Welt brachte, uns pflegte und versorgte, uns die Sprache schenkte und mit ihr den Zugang zu den Dingen und den anderen Menschen. Um groß und stark zu werden, so die Libreria-Frauen, braucht eine Frau eine Frau, die größer ist als sie, und die erste Erfahrung einer solchen ungleichen Beziehung mit einer anderen Frau haben wir mit unserer Mutter gemacht, oder mit der Person, die uns die Mutter ersetzte.

Wenn Frauen nun miteinander darüber sprechen, was sie von ihren Müttern bekommen haben, wenn sie also Dankbarkeit ihren Müttern gegenüber ausdrücken, zeigen sie damit, wie stark und bedeutsam die Tochter-Mutter-Beziehung und damit auch die Mutter-Tochter-Beziehung ist. Im Rahmen dieser Beziehung wurde uns alles gegeben, was wir brauchen, um selbstbewußt unseren Weg zu gehen: das Leben, der Körper, die Sprache, Beziehung und damit die anderen Menschen, die Dinge, die durch das Erlernen der Sprache unterscheidbar wurden, gleichzeitig die Phantasie und das Denken, das Begehren und schließlich die Welt. Wenn wir die Tochter-Mutter-Achse ausbauen und stärken, wird unser patriarchaler Umweg zueinander, das gemeinsame oder in Konkurrenz ausgeführte Verwöhnen und Beweihräuchern der Väter und Söhne, immer mehr an Bedeutung verlieren. So wird das Leiden daran schließlich in Vergessenheit geraten, genauso wie das Leiden am Überflüssigsein von manchen jüngeren Frauen schon jetzt nicht mehr nachvollzogen werden kann.

 

Wenn wir damit die Verzerrungen patriarchalen Denkens hinter uns gelassen haben, verstehen wir auch, warum Dankbarkeit (und auch weibliche Autorität) zu Schlüsseln werden konnten, die diese verschobene symbolische Ordnung zurechtrücken können: Dankbarkeit gehört genauso wie weibliche Autorität zu den Grundtatsachen des Lebens. Denn Dankbarkeit und weibliche Autorität sind untrennbar damit verbunden, daß wir geboren werden und daß wir in der ersten Zeit unseres Lebens und auch, wenn dieses zu Ende geht, ganz besonders auf Führung und Fürsorge angewiesen sind. Als Erwachsene und Gesunde können wir ebenfalls nicht ohne andere Menschen leben, auch wenn unsere Kultur des Individualismus und der Autonomie alles tut, um diese Tatsache zu verstecken. Ein Buch von Hannah Arendt, in dem sie hilfreiche Unterscheidungen über die Formen menschlichen Tätigseins erarbeitet hat, beginnt mit einer Darstellung dieser “menschlichen Bedingtheit”: “Für Menschen heißt Leben – wie das Lateinische, also die Sprache des vielleicht zutiefst politischen unter den uns bekannten Völkern, sagt – so viel wie “unter Menschen weilen” (inter homines esse) und Sterben so viel wie “aufhören unter Menschen zu weilen” (desinere inter homines esse).” [6]

Die Diotima-Philosophin Chiara Zamboni schrieb in einem Artikel, unsere Mutter habe uns nicht auf oder in die Welt, sondern zur Welt gebracht, sie habe also der Welt etwas hinzugefügt, ihr ein Geschenk gemacht. Im Taufritual wird dies noch ausgedrückt, wenn das Kind erstmals zur Gemeinde gebracht wird und dabei ein Fest gefeiert wird. Wenn wir in jedem Menschen ein solches Geschenk einer Mutter an die Welt sehen und in der Einzigartigkeit jedes Menschen eine ungeheure Fülle an Möglichkeiten zu Neuem, wenn wir auch unser eigenes Leben als ein Geschenk betrachten, anstatt nur darauf zu starren, wo wir etwas nicht bekommen haben, dann leben wir plötzlich nicht mehr in einer Welt des Mangels, sondern können die Fülle um uns herum wieder wahrnehmen. Wenn wir selbst keine Freude an unserem Leben haben, wenn wir also nicht dankbar sein können, daß unsere Mutter uns zur Welt gebracht hat, können wir auch anderen keine Lebensfreude vermitteln. Wenn wir davon ausgehen, daß wir in einer bösen, kalten, grausamen Welt des Mangels leben, können wir keine Welt der Fülle und der Gerechtigkeit entwerfen.

 

II.

 

  1. Arbeit (in der Bedeutung von Erwerbstätigkeit)

 

Das Patriarchat ist auch insofern zu Ende, als zumindest in den westlichen Demokratien fast niemand mehr daran glaubt, daß Frauen ausschließlich zu Hausarbeit und Kindererziehung fähig sind, und dazu sogar nur unter Anleitung von Männern. Im Rahmen der Frauenbewegungen haben Frauen es durchgesetzt, daß sie Zugang zu fast allen Berufen bekamen, daß Mädchen eine ebenso gute Schul- und Berufsausbildung zugestanden wird wie Jungen. Auch dies ist ein Grund für Freudensprünge. Daß sich in den beruflichen Tätigkeiten eine neue Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern herausgebildet hat, die sich übrigens ständig verändert, muß nur dann als Problem betrachtet werden, wenn wir eine abstrakte Gleichheit höher bewerten als das Wünschen und Wollen der Frauen. Einige Frauen der Libreria in Mailand haben untersucht, wie Lohnarbeit aus weiblicher Sicht aussieht, nachdem sie feststellten, daß es bisher fast nur Literatur über männliche Lohnarbeit aus männlicher Sicht gibt. Dabei gingen sie von der Frage nach dem Sinn der Arbeit für Frauen (und für Männer) aus, nach der Bedeutung, die ihr im Beziehungsgeflecht der Menschen gegeben wird. Die “Mailänderinnen” entdeckten, daß Frauen sich bis jetzt noch nicht mit Haut und Haaren dem Maßstab des Geldes bzw. der Karriere ausliefern, daß ihre Orientierung an der Qualität der Beziehungen eine gewisse Barriere gegen Entfremdung darstellt. Daß abhängige Arbeit auf jeden Fall entfremdete Arbeit sei, muß als Ergebnis männlicher Analysen von männlicher Lohnarbeit für Frauen nicht stimmen (und sie stimmt wahrscheinlich auch für Männer nicht). Während die üblichen Gewerkschaftsforderungen – mehr Geld, kürzere Arbeitszeit – nicht auf eine qualitative Veränderung der Arbeit achten, entziehen sich Frauen oftmals mit ihren anderen Ansprüchen an sinnvolle Arbeit den gewerkschaftlichen Kampfplattformen und werden dafür von den Gewerkschaften kritisiert. Sie werden also dafür kritisiert, daß sie nicht bereit sind, ihre Differenz abzulegen. Im roten Sottosopra, einer der zahlreichen Flugschriften der Libreria, wird noch eine weitere Dimension einbezogen: “Die Frauen begeben sich heute zwar auf den Arbeitsmarkt, aber sie unterwerfen sich seinen Maßstäben nicht völlig; sie messen diese wiederum an anderen, innerhalb und außerhalb der Arbeitswelt. Die derzeitige Revolutionierung im Leben der Frauen wäre nicht möglich gewesen ohne diese differenzierte Verhandlungsführung: hier geht es nicht nur um die Höhe des Gehaltes oder um Spitzenpositionen, sondern um eine Gesamtheit von Tauschbeziehungen, die alle Bereiche umfaßt: die Qualität der Arbeit, emotionale Befriedigung und Erfordernisse der Zivilisation, wie etwa die Zurückerstattung der Pflege an die alten Menschen. […] Wer von diesem Maßstab ausgeht, muß feststellen, daß der vom Geld geregelte Markt nur ein halber Markt ist, der nicht ausreicht, um all den Austausch zu ermöglichen, den sich ein Mensch wünscht und zu dem ein Mensch fähig ist.”[7]

 

  1. Geld

 

Ich stimme den „Mailänderinnen“ zu, daß Frauen einander darin bestärken müssen, diese Ansätze von Orientierung an der Qualität und dem Sinn der Arbeit und an der Gesamtheit der Tauschbeziehungen auszubauen, öffentlich dazu zu stehen und damit auch ihre Differenz sichtbar und hörbar werden zu lassen. Nicht übersehen möchte ich dabei jedoch, daß der andere halbe Markt, der vom Geld geregelt wird, dabei nicht ignoriert werden darf. Die weibliche Distanz zum Geld, vor allem zum Verhandeln über Geld, stellt einen wichtigen Faktor dar, der mit dafür verantwortlich ist, wenn von Frauen ausgeübte Tätigkeiten und Berufe schlecht bezahlt und als minderwertig betrachtet werden. Weder die Überschätzung der Bedeutung des Geldes (“Geld regiert die Welt”) noch Unterschätzung (“Geld ist mir nicht so wichtig”) oder gar moralisierende Abwertung (“Geld verdirbt den Charakter”) helfen uns weiter. Nehmen wir das Geld jedoch ernst als eine Form von Dankbarkeit, mit dem im kapitalistischen Denken der Irrtum verbunden ist, daß damit vollständige Rückerstattung möglich sei für etwas, das wir von einem Menschen bekommen haben, so können wir es nehmen, einfordern und nutzen, ohne deshalb unsere Orientierung an Sinn, Qualität und an guten menschlichen Beziehungen aufgeben zu müssen. Idealisieren wir die Schwierigkeiten von Frauen beim Verhandeln über Geld, indem wir nur das betonen, was ihnen bei der Arbeit außer Geld noch wichtig ist, so vergessen wir, daß die weibliche Distanz zum Geld noch eine andere Quelle hat, die auf dem Weg vom Adel über das Bürgertum und die Hausfrauenehe bis zum Versorgungsanspruch dem Staat gegenüber als gesellschaftliche Norm von Frauen hochgehalten wurde: “Über Geld spricht man nicht”, denn: Über Geld muß man nicht sprechen, wenn man es hat. Frauen, die gut oder doch ausreichend versorgt waren oder sind, konnten und können es sich leisten, auf Menschen herabzusehen, die es nötig hatten, um Geld zu feilschen, und ihre “höheren Werte” dagegensetzen. Auch hier ist es das Für-selbstverständlich-Nehmen und daher Nicht-mehr-Wahrnehmen von etwas, was frau von anderen Menschen bekommen hat, das zu einer solchen Arroganz führt. Ich denke, daß Frauen das Verhandeln um Geld genauso lernen müssen wie das Austragen von Konflikten. Daß Frauen hier durchaus erfolgreich verhandeln können, zeigen Beispiele von Berufen, in denen Frauen auch heute schon gut verdienen. Nur zufällig habe ich erfahren, daß ich mein früheres gutes Gehalt als Lehrerin den Lehrerinnen verdanke, die Anfang des Jahrhunderts in selbst organisierten Verbänden um gleiches Gehalt wie ihre Kollegen gekämpft haben. Bis heute liegt das Einkommen von Frauen in diesem Beruf recht hoch, verglichen mit dem anderer “Frauen”berufe. In Freiburg, wo einige Frauen vier Jahre lang und schließlich erfolgreich dafür gekämpft hatten, lag die Bezahlung für eine Honorartätigkeit in der Familienhilfe fast dreimal so hoch wie im Umland, wo die Frauen keine Verhandlungen initiiert hatten. Haus- und Familienfrauen sind auch deshalb immer noch unterbezahlt, weil sie bisher nicht die Forderung an ihre Ehemänner gestellt haben, daß sie – entsprechend der Arbeitsteilung, die sie miteinander praktizieren – den Anteil des Einkommens ihres Mannes auf ein eigenes Konto überwiesen haben wollen, der ihrem Anteil an der gemeinsamen Arbeitszeit entspricht. Stattdessen lassen sie sich weiterhin mit Taschengeld, Haushaltsgeld und “Geschenken” abspeisen und gehen vielleicht sogar eine Arbeit auf Geringbeschäftigungsbasis ein, um auch ein bißchen “eigenes Geld” zu haben, während ihre Männer weiterhin meinen, das Geld, das sie verdienen, sei ihr Geld, und die Autos, die sie davon kaufen, seien ihre eigenen. Die noch bestehenden Ehegesetze geben ihnen dabei sogar recht. Erst nach einer Scheidung muß das “zugewonnene” Geld geteilt werden – so ist es jedenfalls in Deutschland. Ich finde es ausgesprochen peinlich für die Frauenbewegung, daß sie hier noch nicht für eine Änderung gekämpft hat. In der Forderung nach Bezahlung der Familienarbeit durch den Staat sehe ich ein Ausweichen von Frauen vor dem Austragen dieses Konfliktes. (Die Verwirklichung meines Vorschlags einer Lohnteilung zwischen Ehepaaren müßte selbstverständlich einhergehen mit einer weiteren Steuerentlastung für all diejenigen, die Kinder aufziehen). Auch die Forderung nach gerechter Aufteilung der Hausarbeit wurde den Frauen nur dort erfüllt, wo sie selbst in ihren Beziehungen darüber verhandelten. Darin sehe ich den Grund dafür, daß diese seit Jahren öffentlich geäußerte Forderung bis jetzt nur wenig Erfolg zeigte.

 

  1. Familienarbeit

 

Mit der Emanzipation von Frauen ins Berufsleben hinein, also in die Erwerbstätigkeit, ging weitere Abwertung von Mutterschaft einher. Wider besseres Wissen mußten Frauen die Bedeutung der Mutter-Kind-Bindung herunterspielen, wenn sie den damals als einzigen sichtbaren Weg einschlagen wollten, um häuslicher Isolation, gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit und finanzieller Abhängigkeit zu entkommen. Die Frauenbewegung hat – vor allem im Rahmen des Gleichheitsansatzes – bei der Abwertung der sogenannten Nur-Hausfrau-und-Mutter mitgewirkt. Eine offene Entscheidung für Mutterschaft als ausschließliche Tätigkeit ist heute fast nicht mehr möglich. Die Versorgung und Erziehung von Kindern zuhause wird als Bequemlichkeit, ein Sich-Drücken vor dem eigentlichen Leben betrachtet (“Erziehungsurlaub”), als ein Herausfallen, das mit Kompetenzverlust verbunden ist, daher “Wiedereingliederung”. Erziehungskompetenz im Hinblick auf das “richtige Leben” wird nicht-berufstätigen Müttern spätestens ab Schuleintritt der Kinder abgesprochen, oft auch von Lehrerinnen. Frauen äußern sich heute öffentlich über Mutterschaft z.B. folgendermaßen: Bezogen auf berufliche Verfügbarkeit oder gar Karriere ist Mutterschaft eine Behinderung und Belastung, bezogen auf Vermögensbildung, Freizeit und Konsum ist sie ein Armutsrisiko (wobei dieser Punkt hauptsächlich von Familienvätern hervorgehoben wird), unter Gleichheitsaspekten eine Quelle von Benachteiligung. Und die Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft bleibt ein unlösbares Problem. Meiner Meinung nach gibt es den Wunsch nach Mutterschaft als ausschließliche Tätigkeit für längere Zeit bei mehr Frauen, als dies offen zugeben. Immer mehr alleinerziehende Frauen nutzen geschickt die Möglichkeiten des Sozialstaats mit all den neu entwickelten Arbeits- und Frauenförderungsmaßnahmen aus, um einigermaßen in Ruhe ihre Kinder erziehen zu können und trotzdem ein eigenes Einkommen zu haben. Dafür nehmen sie große finanzielle Einschränkungen in Kauf, bei Finanzierung über Sozialhilfe und stundenweise Schwarzarbeit auch ein Leben in Unsicherheit und am Rand der Gesellschaft. Um die entsprechenden “Hilfen” zugestanden zu bekommen, müssen diese Mütter sich selbst pathologisieren, sich als schwach und hilfsbedüftig hinstellen oder bei ihren Kindern Entwicklungsverzögerungen und besondere Schädigungen bescheinigen lassen. Ich kenne keine Frau, die sich bei dieser Art der Geldbeschaffung das Gefühl erhalten konnte, gesund, stark und eine gute Mutter zu sein. Manche Frauen verbinden die “Kinderphase” mit einer ganz oder teilweise ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Projekt, in der Hoffnung, daß daraus später ein Arbeitsplatz werden könnte, an dem wirkliche “Vereinbarkeit” garantiert ist.

Um diesen unwürdigen und im Hinblick auf die nächste Generation unverantwortlichen Zustand zu beenden, bedarf es einer deutlich markierten Kehrtwendung der Frauenbewegung in dieser Frage. Frauen sollten sich dafür einsetzen, daß nun, da Frauen alle Berufe offenstehen, den Frauen, die das wollen, auch die Mutterschaft als ausschließliche Tätigkeit wieder ermöglicht wird. (Selbstverständlich muß das auch für Väter gelten). Hierfür müßte eine ganze Reihe von Gesetzen geändert werden, die in den letzten Jahren diesen Weg zunehmend verbaut haben. Vor allem müßten aber Frauen öffentlich eine andere Haltung zur Mutterschaft einnehmen: Sie müßten aufhören, die Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung bzw. die Bedeutung von stabilen, verläßlichen Bindungen für unser aller Leben herunterzuspielen und stattdessen öffentlich Dankbarkeit gegenüber der Mutter ausdrücken, indem sie zeigen, was wir alles von unseren Müttern bekommen haben und was Kinder von ihren Müttern und anderen Bezugspersonen brauchen, damit sie und wir alle miteinander ein gutes Leben haben können.

 

  1. Versorgung, Sozialpolitik, Ehrenamt

 

Es ist absurd, wenn krampfhaft nach “Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen” gesucht wird, während Frauen mit Kindern, die von Unterhalt oder Sozialhilfe leben, immer früher wieder dazu aufgefordert werden, sich “dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen”. (Neuerdings wird dies in Deutschland bereits von ihnen verlangt, wenn ihr Kind 3 Jahre alt ist). Solange Frauen an das Patriarchat glauben, müssen sie fürchten, daß alle Frauen gegen ihren Willen wieder “an den Herd” gezwungen werden, wenn sie die Tätigkeit der Mutterschaft als Lebensmöglichkeit für Frauen gelten lassen oder sich gar für bessere Bedingungen für diese Tätigkeit einsetzen. Frauen dürfen damit viele Vorschläge nicht machen, die einige Probleme unserer Zeit lösen könnten. Sie müssen sich dann auch hüten, gegen Maßnahmen Stellung zu nehmen, die die Lebensqualität von uns allen, vor allem aber die von Frauen und Kindern, weiter verschlechtern. Denn sie dürfen weder die Bedeutung personaler Bindung allzusehr betonen, noch dürfen sie sich gegen Professionalisierung in Lebensbereichen aussprechen, denen diese offensichtlich gar nicht gut bekommt. Wo wir uns dagegen selbst verstehen als Töchter, die etwas von ihren Müttern bekommen haben, das sie rückerstatten müssen, indem sie es weitergeben, werden wir frei zu unbequemen Stellungnahmen, z.B. zu folgender: Wo Kinder versorgt und erzogen oder Alte und Kranke betreut werden, hat Gewinnorientierung nichts zu suchen. Diese Bereiche müssen wir vor dem Zugriff des Kapitalismus schützen, d.h. auch vor indirekter Gewinnorientierung, die Einsparung genannt wird. Hier ist auch sprachliche Genauigkeit notwendig: Sparen heißt “Verschwendung minimieren”, den Mißbrauch dieses Wortes, wenn eigentlich Qualitätsverschlechterung damit gemeint ist, müssen wir kritisieren und das Einverständnis und die Mitwirkung an solchem “Sparen” verweigern. Das gilt besonders auch für Frauen, die es sich leisten können, ehrenamtlich im Sozialbereich zu arbeiten. Wenn sie dies tun, ohne gleichzeitig politisch zu handeln im Sinne einer symbolischen Ordnung der Mutter, besteht die Gefahr, daß sie noch an einer Qualitätsverschlechterung in der Versorgung mitwirken, indem sie “Einsparungen” ermöglichen und dafür anderswo Gewinne schaffen. Wo Frauen ohne Bezahlung arbeiten, müssen sie außerdem dafür sorgen, daß Wertschätzung und Dankbarkeit auf andere Weise ausgedrückt werden. Hierfür müssen neue Dankbarkeitsrituale erfunden oder alte wiederbelebt werden. Ehrenamtlich arbeitende Frauen müssen alles tun, um das Unsichtbarwerden ihrer Arbeit zu verhindern, da es sonst wieder selbstverständlich werden könnte, daß Frauen umsonst arbeiten. Gerade die zur Zeit häufig genannten Argumente für das “moderne” Ehrenamt von Frauen (im Gegensatz zu dem alten, in dem Selbstaufopferung noch als Wert galt), halte ich hier für kontraproduktiv: Frauen betonen die Selbstverwirklichungsmöglichkeiten, den Spaß und die Gestaltungsfreiheit, die ihnen das Ehrenamt bietet, und zementieren damit den Glauben vieler Frauen, daß gute Bezahlung mit solchen Qualitäten unvereinbar sei.

 

In einer Kultur der Dankbarkeit herrscht nicht Mangel und Verzicht, sondern Fülle. Hier darf alles getauscht und um alles verhandelt werden, auch um Respekt, Sichtbarkeit, Wertschätzung und angemessene Bezahlung.

 

[1]              Vgl. Luisa Muraro, Ein authentisches Selbstbewusstsein, das zu Lust, Freiheit und wirkungsvollem Handeln führt, in: Dorothee Markert, Wachsen am Mehr anderer Frauen, S. 93

[2]              Frauen haben immer wieder kritisiert, dass ich hier den Begriff „Schuld“ verwende, da er sie an den christlichen Schuld- und Sündenbegriff erinnert. Hier hat er aber ausschließlich die Bedeutung von „jemandem etwas schuldig sein“, der auf eine Beziehung hinweist, in der ein Tausch noch nicht abgeschlossen ist, was beide Beteiligte unfrei macht.

[3]              Libreria delle donne di Milano, Wie weibliche Freiheit entsteht, Berlin 5. Aufl. 2001, S. 155

[4]              Luisa Muraro, Freudensprünge, in: Diotima u.a., Die Welt zur Welt bringen, Königstein 1999, S. 289

[5]              Libreria delle donne di Milano, Wie weibliche Freiheit entsteht, S. 156

[6]              Hannah Arendt, Vita activa, München/Zürich 1994, S. 15

[7]              Libreria delle donne di Milano, Das Patriarchat ist zu Ende, Rüsselsheim 1996, S. 50/51