diotimacomunità filosofica femminile

per amore del mondo

Tradizione filosofica

Weltliebe. Oder: Der weibliche Kant. Der Kant der Frauen

 

Das deutsche Feuilleton feiert den zweihundersten Todestag Kants! Die linke politische Wochenzeitung Der Spiegel titelt das Heft zum Jahresende 2003 „Der Sternenhimmel über uns“. Die Wochenzeitung Die Zeit macht zu Jahresbeginn einen Feuilletonschwerpunkt zu Kant. Das Zweite Deutsche Fernsehen ZDF kreiert eine Philosophiesendung, in der als erstes Kant gefeiert wird. – Die deutsche Öffentlichkeit erfindet die Philosophie neu. Was aber wird gefeiert? Der kategorische Imperativ, die Pflicht und die Neigung. Und wer feiert: Überwiegend Männer. Wenn eine Frau wie in der  linken Tageszeitung Frankfurter Rundschau über Kant und die Frauen schreibt, dann werden die Frauen zum materialethischen Thema. Ihre Probleme können mithilfe der Kantschen Praktischen Vernunft behandelt werden.

 

Kant war keine Frau. Diese Tatsache macht es wohl verständlich, dass ihn im Kant-Jahr die gegenwärtigen stimmgewaltigen Männer der Philosophie und der Kulturwissenschaften feiern dürfen. Männer unter sich, dies gilt insbesondere nach wie vor in der Philosophie, trotz der stetigen Warnung der philosophischen Zunftmeister vor geschlossenen Systemen. – Werden Frauen zur Feier nicht eingeladen? Ist das, was sie zu sagen haben, per definitionem nichtphilosophisch? Reicht es, die Kantsche Ethik daraufhin zu befragen, wie mit Frauen umgegangen werden soll? Können Philosophinnen  nicht, wollen sie nicht öffentlich jenseits des tradierten Kantdiskurses sprechen? Tribut an die Philosophiekarriere, verinnerlichte Anpassungsleistung an die Organisationsform von (philosophischer) Wissenschaft und Universität seit Mitte der 80er Jahre?

Werden systemgefügig diejenigen Frauen gefragt, die innerhalb des philosophischen Establishment stehen, wobei dieses sich wie kein anderes dadurch auszeichnet, dass Frauen nicht sprechen sollen, und schon gar nicht in erster Person und Markierung signifikanter Differenz? Oder stehen Philosophinnen heutzutage stillschweigend als letztes Fähnlein für die Politikfremdheit der Philosophie ein und tradieren auf diese Weise die philosophische Feindseligkeit gegenüber der Rede, die tatsächlich öffentlich ist, weiter, nämlich die Feindseligkeit gegenüber einer Politik, die immer wieder von Neuem gerade auch die Differenz der Geschlechter als Aspekt eines Differenzierungs- und Verdichtungsprozesses im genealogischen Gebrauch der Vernunft zu berücksichtigten vermag?

Gegen die Feindseligkeit der Philosophie gegenüber der Politik erhob Hannah Arendt ihre Stimme und erklärte sich vehement zur Nicht-Philosophin. Hierbei zeichnete sie Kant als denjenigen aus, der diese Feindseligkeit nicht teilt. Auf eine bestimmte Weise kann Kant auch keine Frauenfeindlichkeit vorgeworfen werden wie manch anderem seiner Zeitgenossen und Kollegen. Für Kant verfügen Frauen genauso über aufgeklärte Vernunft wie Männer, wobei jene dies nicht zulassen und den Vormund abgeben wollen, lautet seine Kritik am Chauvinismus.

Vielleicht konnte Kant seine Bewunderung für die Vernunft auf Seiten der Frauen immer wieder deshalb so direkt äußern, weil er aufgrund seiner persönlichen Lebensumstände vor sich und anderen nicht bestätigen musste, dass er einer Frau – seiner Ehe- und Hausfrau – überlegen sei. Kant bestritt seinen Haushalt in Form einer zweckgebundenen Arbeitsteilung jenseits des Paares in einer hierarchisierten Liebesordnung: Kant hatte keine Ehefrau. Er hatte eine Köchin. Sein Mannsein wurde ihm als Sohnsein virulent, in der Beziehung zu seiner Mutter. Dabei musste er in Bezug auf Mütterlichkeit lernen, dass Mütter Wesen sind, die sich auch naturgegeben nicht einfach für ihre Sprößlinge aufopfern: Schwalben werfen ihren Nachwuchs aus dem Nest, wenn sie nicht genug Nahrung finden, war wohl seine traumatische Kindheitserfahrung.

 

Vielleicht handelt es sich beim gegenwärtigen Schweigen über diese Seite der Kantschen Philosophie ja um die Inszenierung des Willens zur fortdauernden Idealisierung des natürlich Mütterlichen? Die Differenz zwischen gewünschter guter Mutternatur und der Natur von Mütter, die Kant erfahren und verarbeitet hat, kann zur Kenntnis genommen und entfaltet werden. Oder ist es eine Manier weiblicher Weisheit, solches Wissen – gerade das um mütterliche Freiheit – für sich zu behalten? Spricht frau öffentlich von der Freiheit der Mütter, haben überwiegend Männer schnell Angst, dass die Gesellschaft aus der Moral falle. Dies scheint  tatsächlich ein Problem von Männern. Da Männern anheimgestellt wird, die gegebene Moral in Freiheit zu überschreiten, bewegen sie sich zwischen Konventionalität und Postkonventionalität. Will jemand vor diesem Hintergrund den vorgesehenen Spielraum verlassen, erscheint das Gespenst des  Praekonventionellen. In dieser Logik empfinden Frauen sich selbst als unmoralisch, wenn sie in ihr Urteil einbeziehen, was dessen Ergebnis für sie selbst bedeuten könnte. Da Frauen aber als Hüterinnen von Natur und Sitte gelten, müsste ihre Transformation der Moral hingegen zur Postkonventionalität führen. Schweigen Frauen, weil weibliches Wissen als Dialektik von Prae- und Postkonventionellem an die Oberfläche kommt, dabei nur als Nicht-Gesagtes hörbar bleibt und auf diese Weise nicht zerredet wird?

Besteht die Vernunft, die sich immer erst als Vernunft beweisen muss, im Schweigen, im weiblichen Schweigen? Leider führt dies zur

falschen Konzeption von all dem, was damit zusammenhängt: Vernunft, Wollen, Freiheit, Abhängigkeit, Sinn – das Grundverständnis dessen, was Menschsein ausmacht.

Kant, die Mutter, die Fruchtbarkeit des menschlichen Geborenseins, die Freiheit, die Philosophie und die weibliche List des Schweigens: die absurdeste Konstellation der Philosophie, die es nur geben kann? Wehren sich die großen philosophischen Meisterdenker der Gegenwart deshalb dagegen, dass die Philosophie „weiblich“ und Frauen als erwachsener, aktiver, besitzender und listig sprechender Teil der Vernunft ernst genommen werden, weil sie ansonsten Idealisierungen von Männlichkeit – Sloterdijk – und Weiblichkeit – Derrida – verabschieden müssten?

 

Feministische Polemik ob dieser Situation der Philosophie  ist insbesondere deshalb angebracht, weil diese mit dem Kant-Jubiläum wiederentdeckt und neu erfunden wird. Vielleicht ist die Philosophie die letzte Geisteswissenschaft, die erneuert werden muss. Die mangelnde Integration der Philosophinnen  sowie der feministischen Rekonstruktion der Philosophie scheint dabei den letzten Widerstand dagegen darzustellen, der Alma Mater einen neuen Sinn zu geben.

Kant als frauenbewegter Spot(t) der Philosophie, inbegriffen der Ethik und ihrer politischen Konsekration? So tun können, als hätte es schon in der zeitgenössischen Reaktion auf Kant keine Kritik gegeben, Kritik, die grundlegend mit dem Denken der Geschlechterdifferenz zu tun hat? Etwa Herder, der Kants transzendentaler Vernunft die Muttersprache entgegensetzt. Und dann Hegel, der auf Kants Vernunftkonzeptionen und seiner abstrakten Kombination von Anfang und Freiheit mit der Genealogie des Geistes – der Genealogie der Geschlechter in Form der Positionen Sohn, Tochter, Vater, Mutter, aber auch Bruder und Schwester und ihrer möglichen symbolischen Verknüpfung im Generationengefüge – antwortet. Auch wenn Hegel die Geschlechter im Leben des Geistes dabei mehr als seltsam einspannt, bleibt ihm bewusst, dass das menschliche Beziehungsgefüge nicht jenseits der Geschlechterkonstellationen, und das heißt, nicht ohne Frauen in verschieden sozialen Positionen gedacht werden kann. Ebenso wenig gibt es einen Geist ohne Geburt, Geborensein und Wachsen in erwachsener Bezogenheit, auch wenn Hegel diesem gegenüber ambivalent bleibt. Freud scheint von Hegel gelernt zu haben, dass jeder Neuankömmling in der Welt die Generationendifferenz verarbeiten lernen muss und sich dies mit der Ausbildung seiner Geschlechtsidentität verbindet. Dabei favorisiert Freud zur abschließenden Bewertung  dieser Entwicklung wiederholt die berühmte logische Form, die Hegel vorschlägt: den Bruch mit dem jeweiligen Entwicklungszustand, angefangen mit der Abwendung von der Mutter. Das Alternativmodell Hegels, statt des Bruchs die stimmige Ergänzung als Entwicklungsmöglichkeit in den Blick zu nehmen, findet sich eher bei C. G. Jung. Hegel selbst bleibt ambivalent, ob er das Geborenwerden als Bruch oder aber als Kontinuität zum tierähnlichen Zustand des Ungeborenen versteht.

Hannah Arendt hat zwei und zwei zusammengezählt, Freiheit in Anlehnung an Kant als Anfangen stark gemacht und dabei an das Geborensein gebunden. Menschliche Geburt ist für Arendt nicht Natur, sondern Eintritt in die Welt. Dabei scheint sie allerdings die Berücksichtigung des Generationengefüges aufgegeben bzw. als doch immer wieder getreue Heideggerschülerin in die Abstraktion der scheinbar generations- und geschlechtslosen Zeit überführt zu haben. Daneben sticht eine wichtige, häufig übergangene Ausnahme hervor. Arendt sieht Freiheit mit Autorität verbunden, diese wiederum mit dem Generationengefüge und der Geburt. In diesem Punkt bezieht sie sich nicht auf Kant, sondern explizit auf Hegel.

Auch Simone de Beauvoir rekonstruiert den Begriff der Freiheit entlang von Kant – und Hegel. Für sie besteht menschliche Freiheit in der Praxis des aktiven sich Rückbindens (!) an alle auf das menschliche Leben Einfluß nehmenden Faktoren, in allen und an alle Lebensalter, an konkrete andere, an gesellschaftlich anberaumte Beziehungsgefüge, insbesondere an vorgesehene Geschlechterbeziehungen und an die Welt. Die Lehre vieler geburts-, generations- und/oder geschlechterbewussten Denkerinnen heißt daher: Weltliebe. Simone Weil bestimmt diese als Begehren nach einem jeden vollbrachten, wie immer beschaffenen Ereignis, Ding oder Person.

 

Philosophie nach dem Weltbegriff zielt auf den göttlichen Menschen in uns ab, verkündet Kant. Philosophie der Frauen nach dem Weltbegriff zielt auf das göttliche Frausein innerhalb des menschlichen Beziehungsgefüges ab, buchstabieren in weiblicher Variation die Philosophinnen der Veroneser Gruppe DIOTIMA aus.

Die Italienerinnen stellen die Weltlichkeit der Frauen in den Vordergrund ihrer Bestimmung der weiblichen Existenz. Dabei ist die Welt das größte Dritte, das Frauen gemeinsam ist, sie verbindet und Unterschiede zwischen ihnen erzeugt. Die Welt liegt zwischen den Frauen. Zwischen Frauen und Männern liegt die Welt. Die Welt ist ferner der Lebens- und Handlungsraum von Frauen. In ihr wollen sie mit Wohlbehagen leben. Damit weiten die italienischen Denkerinnen das, was das Gemeinsame der Frauen ausmacht, auf unterschiedliche Aspekte aus. In der Folge wird das Bewegliche im Leben, das sich nicht selten an äußeren Momenten festmacht, für das Verständnis geschlechtlicher Identität virulent. Der „Sternenhimmel über uns und das moralischen Gesetz in mir“ wird als Wechselspiel deutlich, als „der Sternenhimmel in uns.“ Dieses Wechselspiel präzisieren die italienischen Philosophinnen als Gesetz der mütterlichen Ordnung des Lebens. In diesem ist die Mutter nicht einfach Objekt der kindlichen Entwicklung, sondern als erwachsener Interaktionspartner mit vielfältigen Interessen und eigener Zeit bestimmend.

Ferner auf die Verschiedenheit der Frauen, wie sie im Zusammenhang der Welt sichtbar wird, zu achten, führt dazu, Frauen nicht auf ein Klischee von Weiblichkeit oder auf eine Idee über deren Natur festzulegen. Denn auch durch die Beziehung mit anderen Frauen, die die Welt stiftet, haben  Frauen nicht nur immer das eigene Geschlecht gefunden. Sie werden es in dieser Form auch in Zukunft finden. Im Zusammenhang der Welt zeigt sich die menschliche Weise, wie Frauen miteinander verbunden, und das umfaßt auch, weiblich sind. Die Welt ist die äußere, menschliche Ursache und Bedingung von Weiblichkeit.

 

Simone de Beauvoir geht es ebenso wie den Veroneser Philosophinnen damit um die Neukonturierung des Denkens der Geschlechterdifferenz. Nicht dass Natur Frausein wirkt, ist das Problem dieser Denkerinnen. Biologie, Psyche, Sozialität, geschlechtstypisch verankerte Moralität, Engels historisch-materialistische Geschichtsdeutung, derzufolge Männer deshalb über Frauen logischerweise Macht erlangen, weil die Frauen Kinder bekommen und versorgen: gleichgültig, welche natürliche oder auch übernatürliche Quelle Einfluss auf das weibliche Sein nimmt, Frauen wird Beauvoirs Analyse zufolge die Aktivierung der nicht bedingten Kausalität vorenthalten, indem behauptet wird, dass ihnen all die Faktoren, mit denen sie zu tun haben, in einer einzigen Form von Kausalität zukommen: Frauenleben ist determiniert, aber nicht per Natur, sondern per menschlicher Erhebung von Kausalitätskonzepten – „Frauen werden nicht als Tierweibchen geboren, sie werden zu Tierweibchen gemacht … die freie Frau wird eben erst geboren,“ lautet in genauer Übersetzung das berühmte Diktum Beauvoirs.

Sinnfällig wird: Was die menschliche Natur oder aber die Konstruiertheit durch die Welt im Ganzen ausmacht, ist für das Denken des Frauseins zweitrangig. Die Unterscheidung zwischen bedingter und unbedingter Kausalität, die Kant erfindet, steht auch Frauen zu. Frauen können in frei gestalteten Beziehungen eigene Regeln entwickeln, nach denen sie ihr Leben und das Zusammenleben der Menschen gestalten. Auf diese Weise werden sie selbst zur Kausalität. Sie werden zur menschlichen Natur im Menschsein, zur weiblichen Kausalität des Frauseins, des Menschseins, zur Kausalität der Freiheit, zur Kausalität der Welt.

 

Wie gerade das Geborenwerden zeigt, bilden Individuum und Familie, Sitte und Sexus den Ausgangspunkt der Existenz einer Person. Im Anschluß an Hegel heisst Menschwerdung daher, dass die menschliche „Natur“ gerade auch darin besteht, dass Menschen das, worauf sie treffen, verarbeiten und eigentätig aufgreifen. Beauvoir arbeitet dazu heraus, dass Frauen und Männern verschiedene Verarbeitungsweisen angetragen werden. Einem Mädchen, dass auf einem Baum klettern will, wird (wurde) vorgehalten, dass es nicht richtig weiblich sei, dass es männlich sein will. Es solle sich besser an die überlieferte Weiblichkeit halten. Bei einem Jungen wird zur selben Tat bestärkt, sich eigene Ziele zu setzen. Frauen eigene Entwürfe sinnhafter Existenz abzusprechen, heisst, ihnen die Welt mit all ihren Möglichkeiten vorzuenthalten. Indem sie verweiblicht oder vermännlicht werden, werden sie entweltlicht. Statt Lust auf die Welt wurde ihnen mit der Psychoanalyse der Penisneid angehängt.

Welthaft leben Frauen hingegen, wenn sie sich in der richtigen Weise an sich und zugleich an andere Personen binden. Beauvoir diskutiert, was aus dem Lieben – der menschlichen Weise, mit sich und anderen vielschichtig verbunden zu sein – erwächst. Eine menschliche Person liebt andere Personen, Dinge der Welt, Gott und sich selbst. In all diesen Liebesbeziehungen kann eine Person scheitern. Sie kann narzißtisch werden. Sie kann sich dem geliebt werden Wollen unterwerfen oder ganz materiellen Dingen hingeben. Oder sie kann die Welt verachten, weil es ihr nicht gelingt, durch die Gottesliebe hindurch zur Welt zu finden.

Indem sich eine Frau an andere, die Welt und Gott bindet, dabei einen eigenen Sinn und Zweck findet sowie ihre Selbstliebe und Selbständigkeit vergrößert, verwirklicht sie ihr wahres und umfassendes Menschsein. Die Liebe zu Gott kann hierbei die Beziehung zu sich selbst, zu den Mitmenschen und den Dingen der Welt öffnen. Sie führt dazu, dass der Platz des Anderen immer wieder frei ist und ein unvorhersehbares Maß für die eigene Existenz gefunden werden kann. Beauvoir zufolge sind Frauen daher gerechtfertigt, wenn ihnen der Kreislauf dieser Rückbindung an andere, die Welt und Gott gerade auch in der Praxis gelingt. Weibliche Freiheit besagt die Verwirklichung weiblicher sinnhafter Existenz in der Welt. Sie ereignet sich als das Anfangen, das ein aktives sich Binden ist.

Bedingte Kausalität den Frauen, unbedingte den Männern, lautete jedoch die überkommene Kausalarbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Damit wird mit Weiblichkeit und Männlichkeit festgelegt, wie Frauen oder Männer etwas verarbeiten sollen. Frauen sollen das Gegebene bewahren, Männer es verändern. Beides aber ist Aktivität, menschliches Tun.

Wenn Frauen heute nun die Freiheit im Menschsein für sich in Anspruch nehmen, dann steht keiner mehr naturgegeben für das (ein), was menschliches Leben an bedingter Kausalität mit sich bringt und braucht. Die Löcher, die in unserem Zusammenleben dadurch entstanden sind, dass Frauen die notwendigen Bindungen und die Sorge für die natürlichen Bedingungen nicht länger wie ein Naturgesetz garantieren, sind unübersehbar und brennen.

Kant hat die Problematik, die daher rührt, dass Menschen sich aktiv binden, für die Neuzeit zur Sprache gebracht sowie an seine Zeit und an seine eigenen Denksysteme gebundenen Vorschläge für den Umgang mit dieser Notwendigkeit unterbreitet. Die vielgerühmten Kantschen Imperative sind die Reaktion auf dieses Verständnis menschlicher Existenz. Sie sollen menschliche Gesetze zur Sprache bringen, die dem menschlichen Wollen entspringen und die notwendig sind aufgrund der Tatsache, dass Menschen wollen, Ideen haben, wie sie ihr Wollen umsetzen, frei sind und dabei auf die Frage stoßen, wie sie sich an andere und die Welt binden wollen. Die Antworten hierauf sind dabei immer zeit- und zweckgebunden, sowie an der Bewertung bestimmter Weisen von Bezogenheit orientiert. Die fehlende Konkretion des Imperativs spiegelt dabei  wieder, dass für Kant nicht eine einzige, sondern mehrere Beziehungskonstellationen denkbar waren. Was zu tun bleibt und das menschliche Beziehungsgefüge zugleich immer wieder zu öffnen vermag, ist ihm zufolge die Fragestellung: Wie wollen wir uns in unserer Zeit und über mehrere Generationen hinweg aneinander binden? Kant nannte dieses Öffnen „öffentlicher Gebrauch der Vernunft“. Für den öffentlichen Gebrauch der Vernunft machte Kant die Berücksichtigung der Generationen zum Kriterium, die der Geschlechter leider nicht, obgleich er sich sowohl der Diskriminierung von Frauen als auch der Unzureichendheit der eigenen Antworten bezüglich der Geschlechterproblematik bewusst war.

Einmal davon abgesehen, dass zur weiblichen Inanspruchnahme eigenbedingter Kausalität die Ablehnung eines jeden Pater- und Maternalismus zählt: Kant kann auf die Veränderungen, die in den letzten dreißig Jahren durch die Inanspruchnahme menschlicher Freiheit durch Frauen evoziert wurden, keine Antwort geben. Statt dessen gilt es für heute neu zu entdecken, was in Anlehnung an Simone de Beauvoir und Simone Weil die Kunst des Aktiven-sich-Bindens entlang des weiblichen Begehrens nach Welt genannt werden kann.